Das versteckte Experiment (German Edition)
er schon, dass sich dort das fünfte Familienmitglied oder das erste, die Katze mit dem etwas paradoxen Namen „Mausi“, breitgemacht hatte. Sie lag am Fußende des Bettes und hatte sich wie ein Rollmops behaglich zusammengerollt. Während die Tür beim Öffnen etwas knarrte, knickten Mausis Ohren fast rechtwinklig nach hinten. Jan blieb in der Tür stehen.
„Dieses Viech!“, dachte er.
Die Katze war ihnen vor etwa einem Jahr zugelaufen. Sie hatten ihr einen Platz im Keller eingerichtet, den sie über ein offenes Fenster im Lichtschacht erreichen konnte. Mausi war mehrfarbig: Auf dem Rücken und dem Kopf schwarz, weiß und grau getigert, die Unterseite in Braun gehalten und die Pfoten schneeweiß. Ein weißer Ring an der Spitze verzierte ihren schwarzen Schwanz. Die dunkelbraune Nasenspitze verlieh der Katze eine unschuldige Miene. Sie war etwa drei Jahre alt und trotz ihres beträchtlichen Futterumsatzes zierlich und schlank.
Auf keinen Fall sollte Mausi ins Haus kommen, aus hygienischen Gründen, wegen der Katzenhaare usw. Soweit die Theorie. Doch das Viech, wie Jan sie oft liebevoll nannte, hielt sich nicht an die Theorie und auch nicht an die Anweisungen der anderen Familienmitglieder. Stück für Stück, mit unglaublichem Einfallsreichtum und ungeheurer Ausdauer hatte es sich fast jeden erreichbaren Platz im Hause erobert. Selbst auf ganz und gar unbequemen Plätzen wie z. B. mitten zwischen den Büchern, Ordnern und CDs im Bücherbord gelang es ihm, sich mehr oder weniger bequem einzurichten und ohne Probleme zu dösen und zu schlafen. Dabei richtete die Katze in der Regel keinerlei Schaden an. Nur wenn es ihr gefiel, mit irgendwelchen Gegenständen zu spielen, konnte es mal vorkommen, dass diese ihre ordnungsgemäße Position verlassen mussten und im ungünstigsten Fall bis unter das Bett verfolgt wurden. Da aber in Jans Zimmer sowieso kein Gegenstand einen festen Bestimmungsort hatte, konnte die Katze hier nicht viel Unheil anrichten – außer dass sie ihm sein Bett streitig machte.
Ein Ohr der Katze hatte bereits wieder seine Normalstellung eingenommen, das andere, immer noch nach hinten gestellt, zuckte im Sekundentakt. Als Jan an ihr vorbeiging, richtete sich auch das zweite Ohr wieder auf. „Ist nur der Jan“, mochte sie wohl denken.
Von seiner Schwester und der Katze ließ sich Jan stets einwickeln. Er legte sich so aufs Bett, dass Mausi möglichst wenig gestört wurde. So lag er, etwas unbequem eingeengt auf dem ihm noch zur Verfügung stehenden Platz. Die Katze schmiegte sich an seine Beine und belohnte ihn mit einem wohligen Schnurren, sodass das ganze Bett zu vibrieren schien.
Zeit zum Träumen. Gerade als Jan wieder die Regie zum Kurzfilm „Angela und ich“ aufgenommen hatte, klingelte sein Handy. Das erste Klingeln klang ziemlich dumpf, das zweite jedoch schon nicht mehr. Mit einem Satz war Mausi aus dem Bett gesprungen und gab das Gerät frei, auf dem sie so behaglich gelegen hatte. Sie raste durch die noch halb offen stehende Tür ins Wohnzimmer, wobei sie einen engen Kurvenradius zwischen zwei Türen bewältigen musste. Aufgrund der Fliehkraft und der geringen Haftreibung auf den glatten Bodenfliesen strebte ihr Hinterteil radial nach außen und brachte sie leicht ins Schleudern. Hier half auch kein kompensierender Drehimpuls durch eine flinke Schwanzbewegung. Der gesamte Ablauf entsprach so gar nicht ihren sonst von ihr fast schon zur Schau gestellten grazilen Bewegungen.
Jan lachte laut auf. Er griff nach dem Handy und nahm das Gespräch an.
Sein Mitschüler und Freund Martin war dran. „Und, hast du dein Referat fertig?“, fragte er. Aus dem Tonfall klang unverhohlene Schadenfreude.
„Klar, bin doch ein Genie.“
„Seit wann denn das?“
„Na, seit gestern.“
„Ah, deshalb hat das noch keiner bemerkt.“
„Was gibt's?“
„Wir treffen uns heute Abend kurz nach sieben Uhr alle im Magellan. Oliver hatte die Idee, bei ‚Jugend forscht‘ teilzunehmen. Ein Genie können wir da gut gebrauchen! Außerdem gibt Oliver ein Bier auf seinen Geburtstag vor zwei Monaten aus.“
„Mit dem Bier bin ich einverstanden! Ich komme, wenn du mir die Lösungen der Chemieaufgaben gibst.“
„Klar, bis dann!“
Jan legte das Handy beiseite. Er dachte noch ein wenig über sich und sein Leben nach, kam aber zu keinen verwertbaren Ergebnissen. Ein Lichtschein fiel auf den Monitor, der auf seinem Schreibtisch stand, und reflektierte in seine Augen. Da war sie wieder, die Sonne, als
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