Das verwunschene Tal
riesigen See, die sich immer höher auftürmte. Mythor sah fassungslos diese gigantische Wassermasse, auf der jetzt der Lahme Seevogel hinaufkroch wie auf den Hang einer schwarzen Düne. Das Ruder in Mythors halb gefühllosen Händen bot plötzlich keinen Widerstand mehr. Aber die Geschwindigkeit des offenen Fischerboots fiel nicht ab, im Gegenteil, sie nahm noch zu, während der Seevogel den Wasserberg hinaufstürmte.
Mythor bewegte den Kopf hin und her. Er sah weit über das gischtende Meer hinweg. Das Fischerboot schob sich noch immer die Vorderseite der Welle hinauf. Und Mythor sah wieder jene Schleier aus geheimnisvollem Licht zwischen den Sternen. Das Boot befand sich binnen weniger Augenblicke auf dem höchsten Punkt dieser Woge, deren Wasser verdächtig ruhig war.
»Es ist etwas unter uns!« gellte Nottrs Schrei auf.
Mythor klammerte sich ans Ruder. Für einen entsetzlichen Augenblick schien der Seevogel stillzustehen. Dann brach einen Steinwurf vor dem plumpen Bug die Woge und bildete eine weiß leuchtende Schaumwand. Sie senkte sich und riss das Boot mit sich. Eine rasend schnelle Fahrt abwärts begann. Das Boot schlingerte und bäumte sich auf wie ein störrisches Pferd. Entsetzensschreie erklangen hinter Mythor, der sich an das Ruder klammerte und versuchte, das Boot zu steuern. Große Wellen bauten sich rechts und links auf, brachen zusammen und überschütteten den Seevogel mit eisigen Wassertropfen. Das Wasser lief aus den Haaren der Pelze und gefror sofort zu langen, dünnen Zapfen.
Das Boot jagte den Hang der Welle hinunter.
Noch war es nicht in den schäumenden Strudel gekommen, der vor dem Bug ständig größer und wilder wurde. Aber das weiße, tobende Durcheinander kam immer näher. Die Luft war erfüllt von einem hohlen, geisterhaften Sausen und Jaulen, das nicht vom Wind stammte. Von Steuerbord schlug peitschend eine Welle ins Boot und wirbelte die Ersatzriemen und die Anker durcheinander. Angstvoll klammerten sich Mythors Freunde fest. Abermals platzte unter dem Winddruck eine riesige, gewölbte Eisplatte vom Segel und wurde über den Bug hinweggerissen.
Das Boot tauchte in den Wirbel aus Wasser, Schaum und nebelartig zerstäubter Gischt ein. Sofort bildete sich rings um die Nussschale eine undurchdringliche Zone. Tief unter dem Kiel donnerte es dumpf auf. Durch das Wasser schienen Schreie zu dringen, seltsame, langgezogene Töne, die nicht aus dieser Welt stammten.
»Der Große Fisch!« stöhnte Nottr auf.
Niemand hörte ihn. Das Boot, eingehüllt in den brodelnden Wassernebel, zitterte und bebte in allen Fugen. Die Taue und der Mast knatterten und vibrierten.
Aus dem Nebel, der trügerisch heller war als die schwarze Nacht, prasselten Eisstücke und ein Schwall Wasser ins Boot. Der Lahme Seevogel hängte schwer über. Ein Brecher schlug über das Heck und durchnässte Mythors Rücken und die Decken, die sich Nottr, Kalathee und Sadagar um ihre Körper zerrten. Das Boot schoss aus dem Nebel hinaus, ließ den Gischtwall hinter sich und raste weiter. Mythor warf einen Blick über die Schulter. Hinter dem Boot kochte das Meer, die gewaltige Woge überschlug sich, und ihre Ausläufer griffen wie mit Krallen nach dem schwankenden Gefährt. Wieder ertönte ein donnerndes Geräusch tief unter den Planken, zwischen denen an mehreren Stellen Wasser eindrang.
»Das Meer... es bringt uns um!« wimmerte Kalathee.
Mythor dachte nicht daran, dem Boot eine neue Richtung zu geben. Es war so gut wie sinnlos. Der Sturm, der das Boot einmal in nördliche, dann in nordöstliche, wieder zurück in östliche Richtung vor sich her trieb, war zu stark. Das Segel konnte nicht nachgestellt werden.
Dann erreichte der Wellenkamm das Boot.
Er griff mit gewaltigen Kräften nach dem Ruder und schüttelte es hin und her. Mythor klammerte sich an den eisverkrusteten Holzbalken und spürte, wie das Gläserne Schwert bei jeder Bewegung gegen sein Knie schlug. Sein Körper wurde wie eine Puppe hin und her geschleudert. Wenigstens konnten sie jetzt wieder sehen, wie das Meer um sie herum aussah: Es war ihnen klar, dass sie sich in ärgster Not befanden. Wieder krachte eine Welle ins Boot, tauchte es tief mit dem Heck ein, aber das meiste Wasser spritzte nach allen Seiten hinaus.
Bis jetzt hatte Mythor noch gehofft, einigermaßen heil den Kontinent zu erreichen, irgendwo im Land Dandamar ans Ufer zu kommen. Seine Hoffnung war noch nicht gebrochen, denn er klammerte sich an seine Gedanken. Es war fast wie ein Zwang
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