Das vierte Opfer - Roman
getippt. Ist dann losgegangen und hat einen nach dem anderen erwürgt...«
»Ich weiß«, sagte Bausen. »Immer am Samstag... fünf Stück hat er geschafft, bevor man ihn geschnappt hat. Und weißt du, worüber er gestolpert ist?«
Van Veeteren schüttelte den Kopf.
»Eine der Personen, die er angekreuzt hat, Emerson Clarke, wenn ich mich nicht irre, war ein alter Boxchampion. Harridge ist einfach nicht mit ihm fertig geworden.«
»Pech«, sagte Van Veeteren. »Er hätte den Boxer aussortieren sollen, bevor er in Aktion trat.«
»Ist ihm recht geschehen«, sagte Bausen.
Sie zündeten sich beide eine Zigarette an und saßen eine Weile schweigend da. Lauschten dem leisen Rascheln in dem Rosengestrüpp. Ein paar Igel waren herangekommen, schnupperten und tranken von dem Milchteller, der an der Wand stand, und immer wieder flogen Schwalben unter den losen Dachziegelpfannen ein und aus... vielleicht nicht gerade die Geräusche des Dschungels und seiner Bewohner, aber das Gefühl einer gewissen Erotik überfiel Van Veeteren dennoch.
»Natürlich werden wir in eine andere Lage kommen, wenn er wieder zuschlägt«, sagte Bausen.
»Zweifellos«, bestätigte Van Veeteren.
Plötzlich fuhr ein kalter Wind durch den Garten.
»Willst du reingehen?« fragte Bausen.
»Nein.«
»Und du hast keinen Verdacht?«
Bausen schüttelte den Kopf. Probierte den Whisky.
»Zuviel Wasser?«
»Nein, nein. Keine... Ahnungen, gar nichts?«
Der Polizeichef seufzte.
»Ich sitze jetzt seit mehr als fünfundzwanzig Jahren auf diesem Posten. Die Hälfte aller Leute, die hier wohnen, kenne ich mit Namen und Geschichte... den Rest zumindest vom Ansehen her. Es gibt vielleicht ein paar tausend Neuzugezogene und so, die mir nichts sagen, aber sonst ... ich glaube, ich habe über jede einzelne Seele nachgedacht, und mir drängt sich nicht das Geringste auf. Nichts!«
»Es ist immer schwer, sich Leute als Mörder vorzustellen«, sagte Van Veeteren. »Bevor man es nicht sicher weiß, meine ich. Und er muß ja nicht einmal von hier sein.«
Bausen überlegte eine Weile. »Kann schon sein, aber das glaube ich nicht. Ich wette, er ist von hier. Nun ja, wie dem auch sei, es wäre wunderbar, endlich weiterzukommen. Mit diesem verfluchten Eggers haben wir ja schon Tausende von Stunden verbracht!«
Bausen kratzte seine Pfeife aus. Es sah aus, als würde er mit sich selbst zu Rate gehen.
»Spielst du eigentlich Schach?« fragte er.
Van Veeteren schloß glücklich die Augen. Das Tüpfelchen auf dem i, dachte er.
11
Nicht nur der Rundfunksender und die lokale Presse hatten die Worte des Polizeichefs Bausen ernst genommen. Auch mehrere Landeszeitungen brachten am Sonntag einen ernsthaften Aufruf an die verantwortungsbewußten Kaalbringener Bürger, sich mit jedem kleinsten Hinweis, der zum schnellen Ergreifen des Henkers führen könnte, unverzüglich an die Polizei zu wenden.
Als Inspektor Kropke und Anwärter Mooser später am
Abend die Ergebnisse von Kommissar Jedermanns erstem Tag zusammenstellten, wurde einiges bereits deutlich. Zwar hatte Kropke es nicht mehr geschafft, vor der Zusammenkunft im Konferenzraum irgendwelche Overheadfolien zu bemalen, aber alles war fein säuberlich in seinem Notizbuch mit herausnehmbaren Seiten und einem Umschlag aus dunkelblauem Leder notiert:
1) Während des Tages haben sich 48 Personen im Polizeirevier eingefunden und eine Zeugenaussage über den Mordabend gemacht. Von diesen waren 11 bereits vorher verhört worden. Von den übrigen 37 wurden 6 als uninteressant eingestuft, da sie sich offensichtlich im falschen Bereich der Stadt befanden (3), zum falschen Zeitpunkt dort waren (2) oder sich im Datum getäuscht hatten (1 – die alte Witwe Frau Loewe, die am Montagmorgen Katzenfutter kaufte und bereits zu der Zeit eine ganze Menge verdächtiger Personen mit Äxten unter dem Mantel entdeckt hatte).
2) Die 42 Zeugen, alte wie neue, haben sich alle im Gebiet Lange Straße – Hoistraat – Michel-Treppen – Fischmarkt – Hafen-Esplanade – Stadtwald aufgehalten, und zwar irgendwann zwischen 23.00 und 24.00 Uhr. Die Namen, Adressen und Telefonnummern aller Zeugen wurden genau notiert, und außerdem wurde ihnen auf Kropkes Veranlassung hin verboten, in der nächsten Woche zu verreisen, da man sie möglicherweise für ein intensiveres Verhör vorladen müßte. (Eine Maßnahme, die natürlich reichlich nach Amtsmißbrauch stank, aber Van Veeteren schluckte seine Einwände hinunter. Schließlich
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