Das vierte Opfer - Roman
würde es doch wohl erlaubt sein.
»Also«, fuhr Bausen fort und zog einen abgegriffenen Tabaksbeutel hervor, sich vage daran erinnernd, was Van Veeteren in Ernst Simmels Kehle gesehen hatte. »Da schiebt man friedlich seinen Dienst. Sperrt betrunkene Autofahrer ein, klärt die eine oder andere Schlägerei, beschlagnahmt den Schnaps von Booten aus dem Osten... und dann hat man plötzlich das hier am Hals. Gerade wenn man im Begriff ist, die Bilanz zu ziehen. Nun komm mir bloß nicht damit, daß das nichts zu bedeuten hätte!«
»Es gibt bestimmte Muster«, sagte Van Veeteren.
Bausen sog an seiner Pfeife.
»Sogar den Rassisten habe ich eins auf die Nuß gegeben!«
»Ihr habt hinten in Taublitz eine Asylantensiedlung?« erinnerte sich Van Veeteren.
»Ja, genau. Diese Pappnasen haben vor ein paar Jahren angefangen, herumzukrakeelen, und im November letzten Jahres gab es eine Bande, die Feuer legte... zwei Baracken haben sie abgefackelt. Acht Stück habe ich zu fassen gekriegt.«
»Gut«, sagte Van Veeteren.
»Vier von denen sind jetzt dabei, die Hütten wieder aufzubauen, kannst du dir das vorstellen? Mit den Flüchtlingen zusammen. Sie konnten es sich aussuchen – entweder zwei Jahre Knast oder gemeinnützige Arbeit... ein verflucht guter Richter. Heinrich Heine heißt er, genau wie der Dichter. Und jetzt haben sie ihre Lektion gelernt.«
»Beeindruckend«, sagte Van Veeteren.
»Finde ich auch. Vielleicht ist es doch möglich, aus allen vernünftige Leute zu machen, wenn man sich nur Mühe gibt, obwohl – vier von ihnen sind tatsächlich lieber in den Knast gegangen.«
»Hast du vor, unter allen Umständen zum ersten Oktober aufzuhören?« fragte Van Veeteren. »Die haben noch nicht wegen einer Verlängerung angefragt, oder?«
Bausen schnaubte.
»Keine Ahnung. Ich habe jedenfalls in der Richtung nichts mitbekommen... wahrscheinlich hoffen die, daß du das hier im Handumdrehen erledigst, so daß sie mich in der üblichen Art und Weise verabschieden können, wenn es soweit ist. Was ich übrigens auch hoffe.«
Ich auch, dachte Van Veeteren. Er hob sein Glas und schaute sich um. Bausen hatte den Tisch abgeräumt und eine Decke aufgelegt, aber sonst sah es aus wie beim letzten Mal – Bücher, Zeitungen und Gerümpel, die rankenden Kletterrosen und der zugewachsene Garten, der alle Geräusche und Eindrücke schluckte, bis auf die eigenen. Man konnte fast glauben, man wäre auf irgendeinem Greeneschen oder Conradschen Außenposten gelandet. Im Mangrovensumpf einer Flußmündung auf einem bisher noch unerforschten Kontinent. Vielleicht im Herzen der Finsternis. Ein paar Tropenhelme, ein Glas mit Chinintabletten und ein paar Moskitonetze hätten das Bild nicht gestört... dabei saß er hier mitten in Europa. Ein kleiner Spielzeugdschungel an einem europäischen Meer. Van Veeteren schnupperte an dem leicht nach Zimt duftenden Getränk, und ihn überlief ein kurzer Schauer der Zufriedenheit.
»Deine Frau...?« fragte er. Irgendwann mußte er diese Frage ja stellen.
»Ist vor zwei Jahren gestorben. Krebs.«
»Kinder?«
Bausen schüttelte den Kopf.
»Und du?« fragte er.
»Geschieden. Auch seit ungefähr zwei Jahren.«
»Aha«, sagte Bausen. »Bist du bereit?«
»Wozu?«
Bausen lachte.
»Zu einer kleinen Wanderung in die Unterwelt. Ich wollte dir gern meine Schatzkiste zeigen.«
Sie leerten ihre Gläser, und dann stieg Bausen mit Van Veeteren im Schlepptau hinunter. Eine Treppe hinab, durch den Heizkeller und ein paar Vorratsräume voller Gerümpel – Fahrräder, Möbel, ausgediente Haushaltsgeräte, verrostetes Gartenwerkzeug, gebündelte und nicht gebündelte Zeitungen, Flaschen, abgetragene Schuhe und Stiefel...
»Ich kann mich so schlecht von etwas trennen«, erklärte Bausen. »Paß auf deinen Kopf auf! Hier ist die Decke niedrig.«
Über ein paar Treppenstufen und durch einen engen Gang, der nach Erde roch, kamen sie zu einer massiven Holztür mit doppelter Verriegelung und Hängeschloß.
»Hier!« sagte Bausen. Er schloß auf und machte Licht. »Hier kriegst du was zu sehen.«
Er zog die Tür auf und ließ Van Veeteren als erster über die Schwelle treten.
Wein. Ein ganzer Keller voll.
In der Dunkelheit konnte er die matten Lichtreflexe der Flaschen erkennen, die die Wände hoch gestapelt lagen. Ordentlich nebeneinandergelegt, vom Boden bis zur Decke. Tausende von Flaschen zweifellos. Er sog den schweren Duft tief in die Nasenflügel ein.
»Aah!« sagte er. »Sie steigen in meiner
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