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Das vierte Opfer - Roman

Das vierte Opfer - Roman

Titel: Das vierte Opfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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wie er aufstand und die Tür öffnete. Sie hörte ihn die Tür in den quietschenden Angeln zuschieben, verriegeln und absperren, und erst als seine Schritte schon lange verklungen waren, löste sich das Band um ihre Zunge.
    »Und ich?« flüsterte sie, und für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, diese Worte würden wie ein Zeichen in der Dunkelheit stehen.
    Kleine, schnell verlöschende Irrlichter in einer schwarzen, schwarzen Nacht.
    Dann wickelte sie die Decken um sich und versuchte ihre Seele abzuschotten vor dem, was sie sah.

46
    Als er vom hinteren Parkplatz des See Wharf fuhr, war es erst halb acht, und die Sonne zeigte sich gerade über der Steilküste im Osten. Sie versprach einen klaren Tag, und er mußte zugeben, daß er sich auf ein paar Stunden hinter dem Steuer freute.
    Dazusitzen und durch eine Herbstlandschaft mit glühenden Farben und wie von der Kaltnadel gestochen scharfen Konturen zu fahren. Vielleicht konnte er ja so tun, als wäre er ein ganz normaler Mensch, der in irgendeiner ganz alltäglichen
Angelegenheit unterwegs war ... auf dem Weg nach Bochhuisen, um einen Vortrag über die neue Führungsrolle zu halten. Den Schwefeldioxidausstoß irgendeiner obskuren chemischen Fabrik zu überprüfen. Einen Verwandten vom Flugplatz abzuholen. Oder was die Leute so zu tun pflegten.
    Im März hatte er vor der Entscheidung gestanden, ob er seinen Wagen ganz wechseln sollte oder sich damit begnügen, nur eine bessere Musikanlage anzuschaffen. Schließlich hatte er sich für letzteres entschieden, und während er durch Kaalbringens Gassen kroch, pries er seinen weisen Entschluß. Die gesparten Tausender hatte er für ein paar ganz besonders feine Lautsprecher investieren können, die er sich nie hätte leisten können, wenn er ein neues Auto hätte bezahlen müssen.
    Und jetzt übertraf der Wert der Musikanlage den Preis, den jemand eventuell für den Rest seines alten Opels hätte geben wollen, bei weitem – und genau so sollte es sein.
    Das Auto war ein Transportmittel. Die Musik war ein Genußmittel. Da gab es keinen Zweifel, was Priorität hatte.
    An diesem Morgen entschied er sich fürs Nordische. Kalt, klar und friedvoll. Sibelius und Grieg. Er schob die CD-Scheibe in den Spalt, und als ihn die ersten Töne der Tuonela umfingen, spürte er, wie sich auf seinen Unterarmen eine Gänsehaut bildete.
    Es war schwindelerregend schön. Als befände er sich in der Grotte von Lämmingkäinen, während der ganze Berg von dieser seltsam suggestiven Musik widerhallte. Zum ersten Mal seit mehreren Wochen, ja, eigentlich seitdem er hergekommen war, gelang es ihm, den Henker beiseite zu schieben. Ihn zu vergessen. Er saß einfach da, eingehüllt in die Musik... in eine Kuppel glasklarer Laute, während die Dämmerung sich hob und über der weiten, flachen Landschaft verschwand.
     
    Nach einem Zwischenstopp in einem gewöhnlichen, armseligen Straßencafe in der Höhe von Urdingen bekam die Musik schließlich doch andere Vorzeichen.

    Ihm war klar, daß das Entfernte sich in etwas Nahes verwandelte. Alles, was zur Seite geschoben worden war, wurde zum Ausgangspunkt, zum immer aufdringlicher werdenden Ziel ... steigend, fallend – wie immer. Die Zinne war überschritten. Die Ankunft rückte näher. Die Zeit war vergangen, und alles sollte sich bewahrheiten.
    Oder vereitelt werden. Dieser verfluchte Fall!
    Und obwohl er erneut versuchte, ihn aus dem Kopf zu bekommen, nicht daran zu denken, tauchte er die ganze Zeit in seinem Bewußtsein auf ... nicht in Form von Gedanken, Überlegungen oder Schlußfolgerungen, sondern als Bilder.
    Quer durch den Saal des Bergkönigs und durch Anitras Tanz lief ein Strom scharfer, unretuschierter Fotos. Sie traten in einem gleichmäßigen, entschlossenen, aber sehr langsamen Rhythmus hervor. Wie eine alte Bilderfolge aus einer Geschichtsstunde im Gymnasium, kam ihm in den Sinn. Wie damals gab es genügend Zeit, jedes einzelne Bild gründlich zu betrachten ... obwohl der Inhalt natürlich ein wenig anders war.
    Ernst Simmels stark verdrehter Kopf auf dem Marmortisch des Gerichtsmediziners, und die Kugelschreiberspitze, die in der offenen Kehle herumzeigte.
    Advokat Klingforts zitternde Doppelkinne, als er vor Überraschung den Unterkiefer fallen ließ.
    Der blutgetränkte Flurteppich in Maurice Rühmes Wohnung.
    Und das Schlachterwerkzeug, dessen Ursprung sie nie richtig hatten bestimmen können.
    Louise Meyer – Eggers’ schwarzgeschminkte Hure, die er einen ganzen

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