Das vierte Opfer - Roman
wäre gar nicht er selbst es, der hinter
dem Ganzen steckte. Als wäre er gar nicht verantwortlich für die Morde. Als wäre er ...
Nur ein Werkzeug.
Plötzlich fiel ihr etwas ein, was Wundermaas gesagt hatte; vielleicht nicht wortwörtlich, aber dem Sinn gemäß – etwas dahingehend, daß in den meisten Morden eine Notwendigkeit zu walten schien, ein Zwang, der stärker war als bei allen anderen Taten; wenn dem nicht so wäre, würden sie überhaupt nie begangen werden ... wären sie gar nicht notwendig.
Wenn es eine Alternative gegeben hätte.
Die Notwendigkeit. Die Trauer, die Entschlossenheit und die Notwendigkeit ... ja, sie begriff, daß es genau das war, worum es hier ging.
Die Trauer. Die Entschlossenheit. Die Notwendigkeit.
Sie wartete auf die Fortsetzung, doch die kam nicht. Nur seine schweren Atemzüge, die sich durch die Dunkelheit schnitten, und ihr wurde klar, daß er genau jetzt, genau in diesem Augenblick, wo die Zeit stillstand, über ihr Schicksal entschied.
»Was willst du mit mir machen?« flüsterte sie.
Vielleicht gerade noch rechtzeitig. Vielleicht, weil sie ihm nicht die Zeit geben wollte, zu Ende zu denken.
Er antwortete nicht. Stand auf und ging rückwärts aus der Tür.
Schob sie zu und verschloß sie. Schlug den Riegel vor. Sie war wieder allein. Sie lauschte seinen verklingenden Schritten und kauerte sich an der Wand zusammen. Zog die Decken über sich.
Noch einer, dachte sie. Er hat noch einen, über den er berichten kann. Und dann?
Und dann?
48
Wenn er die Fähigkeit besessen hätte, in die Zukunft zu blicken, und wenn auch nur für ein paar Stunden, dann wäre es natürlich möglich, daß er einfach das Mittagessen hätte ausfallen lassen.
Um statt dessen die Rückfahrt nach Kaalbringen so schnell wie möglich anzutreten. Aber wie die Dinge nun mal lagen – mit der Auflösung dieser zähen Geschichte in deutlicher Reichweite –, beschloß er statt dessen, sich ein Canaille aux Prunes in Arnos Keller zu gönnen, einem kleinen Fischrestaurant, an das er sich noch aus einer Urlaubswoche vor mehr als zwanzig Jahren erinnerte.
Außerdem brauchte er ein paar Stunden, um ungestört nachzudenken, schließlich war es nicht ganz unwichtig, wie er den letzten Akt dieses Dramas inszenierte ... ganz und gar nicht unwichtig. Der Henker mußte so sauber wie möglich zur Strecke gebracht werden, außerdem mußte die Motivfrage untersucht und ordentlich geklärt werden. Und dann war da natürlich noch das Problem mit Inspektorin Moerk. Vermutlich gab es genügend Möglichkeiten, etwas falsch zu machen, und um Bausen zu zitieren: Es war verdammt lange her, seit in diesem Fall mal was geklappt hatte ...
Wie auch immer – eine bessere Gesellschaft als eine gute Mahlzeit konnten seine Gedanken sich wohl kaum wünschen.
Nach einer Birne in Cognac und dem Kaffee hatte er seinen Entschluß gefaßt – eine Strategie, bei der die Erfolgschancen gut erschienen und die Risiken, Inspektorin Moerk zu schaden, so gering waren, wie man es sich nur wünschen konnte.
Das hieß, wenn sie immer noch am Leben war. Natürlich wollte er gern davon ausgehen, aber in diesem Fall hatte ihnen die Wahrscheinlichkeit schon öfters ein Schnippchen geschlagen.
Wahrscheinlichkeit? dachte er. Ich hätte es wissen sollen.
Es war inzwischen halb vier. Er bezahlte, verließ seinen Ecktisch und begab sich in die Telefonzelle im Restauranteingang.
Drei Gespräche. Zuerst Bausen daheim in seinem Nest, dann Münster ... der Kommissar antwortete nicht in seinem Ferienhaus, er war sicher noch mit Synn und den Kindern am Strand. Dann Kropke auf der Polizeiwache, der Inspektor kostete ihn insgesamt eine Viertelstunde, er hatte offensichtlich Schwierigkeiten, dem Gedankengang zu folgen, aber als das Gespräch endlich beendet war, hatte Van Veeteren das Gefühl, daß jetzt alles klappen könnte.
Er machte sich kurz nach vier auf den Weg, und bereits in der Höhe von Ulming, nach wenigen Kilometern, bemerkte er, daß die rote Lampe blinkte. Bald leuchtete sie die ganze Zeit unheilverkündend, was ihn dazu brachte, fluchend mit beiden Fäusten auf das Armaturenbrett zu schlagen – doch das nützte nichts, der Motor begann auch noch zu stottern und an Fahrt zu verlieren, dieses Scheißauto, und als die nächste Tankstelle auftauchte, war ihm klar, daß er keine andere Wahl hatte. Er fluchte noch ein bißchen, blinkte nach rechts und bog von der Autobahn ab.
Eine neue Lichtmaschine, stellte der
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