Das vierte Opfer - Roman
junge Tankwart nach einem kurzen Blick unter die Motorhaube fest ... am gleichen Tag kaum noch zu machen. Er schob die Hände in seine Gesäßtaschen und schaute bedauernd drein. Van Veeteren fluchte.
Na gut, wenn der Kunde darauf bestand und bereit war zu zahlen. Ja, vier, fünf Stunden, vielleicht würde das ausreichen... schließlich mußte er erst in die Stadt und eine neue besorgen, aber wenn er es so eilig hatte, konnte er ja solange ein anderes Auto mieten. Ein paar waren frei.
»Und meine Musikanlage hier lassen?« schimpfte der Hauptkommissar und zeigte mit ausgestreckten Händen auf die triste Umgebung der Tankstelle. »Was denken Sie denn, wer ich bin?«
»Na, dann eben nicht«, sagte der Tankwart. »Dann schlage
ich vor, Sie warten so lange drüben im Cafe. Im Kiosk gibt es Zeitungen und Bücher.«
Verfluchte Scheiße! dachte Van Veeteren. Mistauto! Ich werde nicht vor ein, zwei Uhr nachts zurück sein.
»Es klingelt!« schrie Bart.
Münster und seine Familie hatten am Strand herumgetrödelt, bis die Sonne hinter dem Waldrand im Westen unterging. Sie konnten nach einem Tag voller Spielen, Faulenzen und Wiedersehensfreude nur mit Mühe wieder ins Haus zurückfinden. Vorsichtig legte Münster seine schlafende Vierjährige ins Bett, während Synn ans Telefon ging.
»Es ist der Hauptkommissar«, flüsterte sie mit der Hand über dem Hörer. »Er klingt wie ein Pulverfaß, da ist anscheinend was mit dem Auto ...«
Münster nahm den Hörer.
»Was?« fragte er.
Dann sagte er die nächsten zehn Minuten so gut wie gar nichts mehr. Stand nur in der Fensternische, hörte zu und nickte, während seine Frau und sein Sohn immer kleinere Kreise um ihn zogen ... ein Blick genügte, und Synn verstand, und ihr Wissen übertrug sich unmittelbar auf den Sechsjährigen, der das gleiche schon ein paarmal mitgemacht hatte.
Es war nicht mißzuverstehen. Nicht das Auto stand im Mittelpunkt des Gesprächs. Sie hörte es an der Stimme des Vorgesetzten am anderen Ende der Leitung; ein dumpfes, unverdrossen heranziehendes Unwetter. Sie sah es natürlich auch an ihrem Mann: an seiner Körperhaltung und seinen Kiefern im Profil. Angespannt, zusammengebissen. Ganz oben unterhalb der Ohren ein bißchen weiß ...
Es war soweit.
Und langsam überfiel sie diese Unruhe. Über die sie nicht reden konnte, nicht einmal mit ihm, aber von der sie wußte, daß sie sie mit allen anderen Polizeiehefrauen auf der Welt teilte.
Die Möglichkeit, daß ... daß etwas passieren könnte, was ...
Entschlossen nahm sie ihren Sohn bei der Hand und ließ ihn nicht wieder los. Trotz allem dankbar, daß sie beschlossen hatte, hierherzufahren.
»Gegen zwei?« fragte Münster schließlich. »Ja, ich verstehe. Wir treffen uns hier, ja... ja, das kann ich einrichten.«
Dann legte er den Hörer auf und starrte eine Weile vor sich hin, direkt in die Luft.
»Das ist einfach zu schrecklich«, sagte er.
Er schüttelte den Kopf und wurde seiner Frau und seines Sohnes gewahr, die ihn mit der gleichen unausgesprochenen rhetorischen Frage im Blick anstarrten.
»Wir werden den Henker morgen früh fassen«, erklärte er. »Die anderen kommen heute nacht hierher, um die Taktik zu besprechen.«
»Hierher?« fragte Synn.
»Stark«, sagte der sechsjährige Junge. »Ich bin dabei.«
Um halb fünf war der Plan fertig. Das Ganze hatte etwas länger gedauert, als der Hauptkommissar sich gedacht hatte, die Motivfrage war hin und her gewendet worden, und wie nun alles so richtig zusammenhing, wußte immer noch keiner. Aber sie hatten es, soweit es nur ging, analysiert. Es war unmöglich, weiterzukommen, und auch wenn das eine oder andere Teilchen vom Puzzle noch fehlte, so waren sich doch alle klar darüber, wie es im großen und ganzen aussehen würde.
»Es hat keinen Sinn, noch länger zu warten«, sagte Van Veeteren. »Jeder weiß, worum es geht ... ich glaube, wir gehen kein großes Risiko ein – aber trotzdem ist es nicht schlecht, auf Nummer Sicher zu gehen. Mooser?«
Mooser klopfte auf seine ausgebeulte Hüfte.
»Münster?«
Münster nickte.
»Der Polizeichef?«
Erneutes Nicken, und Van Veeteren schlug seinen Notizblock zu. »All right. Dann fahren wir!«
49
Der Gedanke an den Tod kam wie ein höflicher Gast, doch als sie ihn erst einmal hereingelassen hatte, beschloß er zu bleiben.
Plötzlich wohnte er bei ihr. Ungebeten und unerbittlich. Wie eine pressende Hand im Zwerchfell. Wie eine langsam wachsende Geschwulst. Eine graue
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