Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
werde. Habe ich dir nicht schon oft genug gesagt, wie kühn ich sein kann, wenn man mich nur lässt. Wir schaffen es, Caitlin. Verlass dich drauf!«
»Tu ich, aber ich hab Angst vorm Fliegen. Gideon sagte, es wäre schön, aber vielleicht muss ich mich dann doch übergeben.«
Hylia kämpfte gegen die Tränen, als sie merkte, wie sehr ihre Begleiterin versuchte, Schwäche und Ängste zu unterdrücken. Nur mit Mühe bewahrte sie einen ausgeglichenen Tonfall, als sie forderte: »Dann kotz bloß nicht gegen den Wind. Das wird sonst eine fürchterliche Sauerei.«
Jetzt lachten beide verhalten. Caitlins Schritte wurden wieder etwas fester, und Hylia schickte ein stummes Gebet zu den Göttern, dass sie die Prinzessin, die so lange und so tapfer durchgehalten hatte, jetzt nicht noch im Stich ließen.
27. Kapitel
S eit drei Tagen waren die Frauen jetzt im Lager der Freien Reiche.
Dort herrschte große Aufbruchstimmung. In Gruppen oder allein machten sich die Krieger auf, um endlich zu ihren Familien zurückzukehren. Krieger der Freien Reiche und ehemalige Hordenkrieger machten sich sogar oft gemeinsam auf den Heimweg. Nur hin und wieder kam es zu Reibereien zwischen den langjährigen Feinden, die aber in der Regel schnell von den Gardisten unterbunden wurden. Während die Krieger die Aussicht auf dauerhaften Frieden genossen und in meist sehr schlichten, weil lediglich friedlichen Zukunftsträumen schwelgten, zogen sich die Verhandlungen zwischen ihren Führern zäh dahin.
Camoras Reich galt es neu aufzuteilen, und Gebietsansprüche entmachteter Fürsten und neu ernannter Statthalter zu überprüfen. Um nicht sofort neue Feindschaften zu schüren, musste alles wohl bedacht werden. Immer wieder fand sich Fürst Darius der Frage gegenübergestellt, ob bloßes Erbrecht dem Recht des Eroberers vorzuziehen war. Da die Sitze im neu gegründeten Rat der Reiche zahlenmäßig gleich mit Führern der Freien Reiche und den ehemaligen Hordenführern besetzt waren, kam es zu ewig andauernden Gesprächen und Auseinandersetzungen darüber.
Morwena, die selbstverständlich regelmäßig an diesen Runden teilnahm, nutzte trotz ihrer wachsenden Müdigkeit jede sich bietende Gelegenheit, um nach der Großkönigin zu sehen.
Sie betrat gerade erneut zusammen mit Marga das Zelt, trat an Caitlins Bett und fragte mit besorgter Miene: »Wie geht es ihr heute? Gibt es endlich eine Besserung?«
Gideon, der seit der Ankunft der Frauen so gut wie gar nicht geschlafen hatte, erhob sich mühsam von seinem Stuhl und fuhr sich erschöpft durchs Gesicht. »Kaum! Das Fieber konnten wir bekämpfen, Krämpfe hat sie auch keine mehr bekommen, aber sie wacht nicht auf. Nichts, gar nichts wirkt. Weder Hylias Heilzauber noch meine Kräuter. Wenn sie nicht bald zumindest so weit zu sich kommt, um etwas zu trinken, werden wir sie verlieren. Sie … sie vergeht einfach. Wir haben etliche Male versucht, ihr Brühe einzuflößen, aber sie schluckt nicht. Sie atmet nur noch, das ist alles.«
»Vielleicht hätte man sie doch besser bei Ayala lassen sollen«, überlegte die Königin tief bekümmert, legte dem Gelehrten die Hand auf die Schulter und drückte den auf den Stuhl zurück.
Dankbar sackte er auf die Sitzfläche und zuckte die Achseln.
Doch Hylia lachte sofort freudlos auf. »Ich habe Ayala aus dem Wasserverlies heraus bestellen lassen, dass ihre Tochter todkrank wäre, und sie ließ antworten, ihre Töchter wären wohlauf, und der Zustand einer Verräterin würde sie nicht kümmern. Sie hätte keinen Finger für Caitlin gerührt. Höchstwahrscheinlich hätte sie sogar ihre Freude am schlechten Zustand ihrer ungehorsamen Tochter gehabt.«
Mit Tränen in den Augen blickte sie zum Bett. »Sie hat sich solche Mühe gegeben, sie hat gekämpft und getan, was sie konnte. Während das Fieber stieg und stieg, hat sie nur noch von Rhonan gesprochen und davon, dass er endlich eine richtige Familie haben müsste, damit er sich nicht so ungeliebt fühlte. Sie wanderte in unserem Verlies herum und redete pausenlos von ihrem Mann. Jetzt sind ihre Kräfte restlos erschöpft. Die Kalla haben uns unterwegs etwas zu essen gegeben, aber Caitlin konnte es nicht bei sich behalten, wie schon seit zwei Tagen nichts mehr. Sie hat es immer wieder versucht, hat nur langsam und wenig gegessen, aber es ging einfach nicht mehr. Sie … Bei allen Göttern, wenn ich wüsste, es könnte ihr helfen, würde ich freiwillig zurück ins Verlies gehen, aber ich kann nichts mehr für sie
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