Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
Beispiel. Betet lieber, dass es mir gelingt! Wenn ich denke, dass es an der Zeit ist, werde ich sie wecken. Wenn Ihr ihr helfen wollt, bringt mir kräftigende Fleischbrühe oder einen stärkenden Kräutertrank. Ganz nach Belieben! Bereitet zu, was ihr am besten hilft, zu überleben, wenn Ihr meint, dass Ihr zumindest dazu in der Lage seid.«
Die Priesterin ging einen Schritt auf sie zu und sah sie drohend an. »Wenn Ihr ihr ein Leid zufügt, dann werdet Ihr das bereuen. Verlasst Euch darauf!«
»Ihr wisst selbst, dass sie mehr tot als lebendig ist. Ich kann mich tatsächlich auch nicht daran erinnern, meine Hilfe aufgedrängt zu haben«, erwiderte die ungerührt. »Wenn Ihr mir nicht traut, kann ich gern wieder gehen. An ihrem Überleben liegt mir persönlich nicht sehr viel.«
Die beiden Frauen maßen sich mit unterkühlten Blicken, und Hylia wünschte sich nicht zum ersten Mal, auch nur erahnen zu können, was in der Hexentochter vorging. Sie sah von der zur streng blickenden Königin, kniff die Lippen zusammen und schwieg.
Juna lächelte sie geringschätzig an, bevor sie ihre Kräuter zerrieb.
Nachdem ein kleines Feuer brannte und das Wasser im Kessel darüber kochte, wandte sich Maluchs Ziehtochter an die übrigen Anwesenden. »Es könnte durchaus sein, dass nicht nur die Prinzessin der berauschenden Wirkung der Kräuter zum Opfer fällt. Wer sich dieser Gefahr lieber nicht aussetzen möchte, sollte jetzt gehen.«
»Hilfreich wird unsere Gegenwart kaum sein«, erklärte Morwena sofort und zerrte die sichtlich unwillige Marga mit sich.
Aber Hylia und Gideon blieben sitzen, auch wenn sie sich zweifelnde bis ängstliche Blicke zuwarfen.
In der nächsten Zeit wurden sie dann Zeugen, wie die Hexentochter Blätter und Pulver in den Kessel streute und sich daraufhin ein geradezu betörender, süßlicher Qualm ausbreitete. Hylia hielt sich vorsichtshalber ein Tuch vor Mund und Nase, und Gideon folgte sehr schnell ihrem Beispiel. Juna warf ihnen belustigte Blicke zu und lenkte mit einfachen Handbewegungen den Qualm zum Bett. Bald war Caitlin darin kaum noch zu sehen.
Die Hexentochter beugte sich über sie, öffnete leicht die Lippen der Königin, blies Rauch in Nase und Mund, presste ihre Hände fest an deren Schläfen und sprach dabei leise und mit betonungsloser Stimme ihre Zauberformeln. Darauf hätte sie auch verzichten können, da es nur ungereimtes Zeug war. Aber sie wusste, dass Menschen von Hexen unverständliche Worte erwarteten, und hatte trotz der Schwierigkeiten, eine geistige Verbindung zu der im Sterben liegenden Frau herzustellen, noch ihren Spaß an den ängstlichen und beeindruckten Mienen der beiden Heiler.
Allmählich verflüchtigte sich der Rauch, und verblüfft, aber auch mit aufkeimender Hoffnung durften die Priesterin und der Gelehrte erleben, wie Caitlin auf Junas Befehl hin den Kräutertrank, der ihr an die Lippen gehalten wurde, schluckte.
Die Hexentochter strich vor sich hin murmelnd über den Leib der Prinzessin und flößte ihr wenig später auch noch Brühe ein. Erneut ließ sie im Anschluss daran ihre Hände sanft über Caitlins Bauch kreisen.
Hylia konnte es kaum glauben, aber ihre junge Freundin erbrach die Speisen nicht wieder. Im Schein des kleinen Feuers meinte sie sogar, etwas Farbe auf deren Wangen ausmachen zu können.
Juna drehte sich zu ihr um und warf ihr einen höhnischen Blick zu. »Mich und meine Fähigkeiten kennt auch Ihr nur zur Hälfte, Nebelfrau. Eure Königin ist zwar etwas gestärkt, steht aber immer noch auf der Schwelle des Todes. Es ist ungewiss, wohin ihr nächster Schritt sie führen wird, und daher schwierig, eine Verbindung zu ihr zu halten. Ich fühle mich etwas schlapp und mache jetzt einen kleinen Spaziergang. Seht in der Zwischenzeit zu, dass das Feuer nicht ausgeht und dass Eure geliebte Caitlin nicht den falschen Weg geht.«
Mit diesen Worten und einem heiseren Lachen verließ sie das Zelt.
»Ich glaub es kaum«, murmelte Gideon beeindruckt und strich schon liebevoll über die Stirn der Prinzessin. »Sie hat tatsächlich getrunken. Hylia, es besteht noch Hoffnung.«
»Sollte sie jemals wieder erwachen, kann ich nur hoffen, dass es auch noch Caitlin ist, die erwacht«, entgegnete die düster. »Ich trau dieser Hexe nicht.«
Vor dem Zelt schwankte Juna stark und hielt sich schließlich sogar an einem Fahnenmast fest, während sie versuchte, zusammen mit der kühlen Nachtluft auch neue Kraft einzusaugen. Viel zu viel von ihrer eigenen
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