Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
lassen.«
Als ich später dann mit Moshe zusammen war, glaubte ich, es gäbe einen Menschen, der mich nicht hässlich fand. Als Hagar mir später dann in der Armee die Haare frisierte, war ich sogar überzeugt, die ganze Welt könnte mich schön finden.
Irgendwann während ihrer Dienstzeit ließ meine Mutter sich die Nase machen. Das hört sich furchtbar an, ist aber die Wahrheit. Erst war sie gebrochen und dann nicht mehr. Ich weiß nicht, wo sie das Geld herhatte und wie sie es einrichtete, aber sie ließ sich operieren. Das erste Foto, das ich je von ihr gesehen habe, zeigt sie in einem gelben Badeanzug, der den ganzen Körper bedeckte. Zwei Jungen stehen mit nackten Oberkörpern neben ihr und heben sie an den Armen hoch, und sie lacht so sehr, dass man ihr Zäpfchen sieht. Ihre Nase ist vollkommen und lang. Der Strand, an dem meine Mutter in diesem gelben Badeanzug schwimmen ging, der Strand, an dem die Jungen meine Mutter liebten, ist nicht mehr die Grenze. An der neuen Grenze, der näheren Grenze, die es heute, zehn Jahre nach meinem Militärdienst, gibt, stehen von ägyptischen Beduinen geleitete Foltercamps für Eritreer. Sie versprechen den Eritreern, dass sie ihnen helfen, durch Ägypten nach Israel zu kommen. Für Geld. Dann jagen sie sie, halten sie fest, schicken den Familien ein Ohr oder einen Finger und verlangen mehr Geld. Aber als das Strandende noch die Grenze war, jagten die Jungen meine Mutter, bis sie Hornhaut unter den Füßen bekam.
Einmal rief meine Cousine an, flüsterte und kicherte und wollte wissen, ob es stimmte, was sie gehört hätte, dass die Nase meiner Mutter nämlich nicht echt wäre. Ich war immer eifersüchtig auf Mamas Nase, weil die so edel war, und wenn ich zusah, wie sie in zerrissenem T-Shirt und Kopftuch Geschirr spülte, eine Frau, die Hunderte von Schekeln für die richtige Aknetinktur für ihre Töchter ausgeben konnte, sich aber seit Jahren keine neue Zahnbürste gegönnt hatte, konnte ich nicht glauben, dass sie mal eine Frau gewesen war, die sich eine Schönheitsoperation geleistet hatte.
»Meine Mutter hat nämlich gesagt, das wäre, weil sich deine Mutter mal die Nase gebrochen hat oder so, aber trotzdem, ist das nicht lustig?«, flüsterte meine Cousine ins Telefon. Als sie klein gewesen waren, hatte meine Mutter ihre Mutter so tief geschnitten, dass sie durch alle Tücher im Haus geblutet hatte.
»Nein«, sagte ich, »das ist nicht lustig.« Ich fragte meine Mutter nie nach ihrer Nase.
Der Monat, bevor das Flugzeug entführt wurde und meine Mutter versehentlich ans Mitgefühl appellieren musste, war der glücklichste Monat ihres Lebens. Alle Jungen auf dem Stützpunkt liebten sie, als ihre Nase gebrochen war, weil es so leicht war, sie zu lieben – wegen der Nase brauchte man keine Angst davor zu haben, sich ernsthaft in sie zu verlieben, und sie war so ein guter Kumpel, und abends brachte sie die Jungen nach einer Partie Backgammon ins Bett und ließ sich im Meer von ihnen untertauchen, und sie mussten sich nie schämen, ein achtzehnjähriges Mädchen in einem Badeanzug im Arm zu haben. Meine Mutter wurde jeden Tag glücklicher. Nachdem sie auf dem Stützpunkt eingetroffen war, flog sie kein einziges Mal nach Hause, nie wieder zurück in das Haus in Jerusalem mit seinen Babys, verlorenen Lotterielosen, betrunkenen Verfolgungsjagden, geschlachteten Hühnern und blutenden Schwestern. Die Salzluft machte ihr Haar fülliger. Das Warten im Tower machte ihre Gedanken verschlungener und die Gesichter, die sie zeichnete, interessanter. Die Jungen, die sie zu ihrer Königin erkoren, und die Erleichterung ließen sie die Angst vor der Erinnerung verlieren, deren Wahrheit sie sich ein Leben lang auszureden versucht hatte, und sie musste sich nicht mehr immerzu ablenken, verstand nicht mehr so wenig.
Als sie sich die Nase richten ließ, hielten die Jungen das für ein Wunder. Wie in den argentinischen Seifenopern, wenn die Liebenden herausfinden, dass sie doch nicht Bruder und Schwester sind.
Wenn sie über die Sanddünen schritt, applaudierten die Jungen. Die beiden Blondinen, die später nur Söhne bekommen sollten, wurden stiller. Dann halfen sie ihr, die Haare knapp über der Schulter zu schneiden, und folgten ihr auf Schritt und Tritt. Wenn nicht passiert wäre, was dann geschah, wäre meine Mutter geradewegs zum Diktator geworden oder mindestens die Frau eines bösen Politikers oder sogar eines bösen Gottes.
An dem Tag, an dem Ari Milter jemanden namens
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