Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent
seinen Erinnerungen lauschenden Publikum versorgt, zurück. Er hätte lediglich glücklicher sein können, wenn die lustige Witwe aus Thisp anwesend gewesen wäre, also brauchte ich mich nicht zu hetzen.
Das traf sich gut, denn die Stadt Xammer dürfte einzigartig unter den Schulstädten sein, und es waren eine Menge interessanter Dinge zu sehen.
In Xammer gibt es keine Festivalhallen. Vorboldhaus ist ein Schulhaus, das sich auf die Erziehung der Töchter von Mächtigen spezialisiert hat, Töchter von Königinnen und Magierinnen, die zu höchstem Rang aufgestiegen sind, Töchter bedeutender weiblicher Waffenträger und Tragamore. In Vorboldhaus bringt man ihnen bei, ihr eigenes Spiel zu spielen, das Spiel des Überlebens und der Fortpflanzung. Für sie gibt es keine Festivals, um durch namenlose Bauern geschwängert zu werden oder zufällig Kinder zu gebären. Nein, diese Jungfrauen stellen die Prämien für Bündnisse dar und sind innerhalb der Mauern von Vorboldhaus so gut geschützt, als lebten sie in einer von Drachen bewachten Burg.
Alles das wußte ich bereits, denn es war damals, bevor Seidenhand hierhergeschickt wurde, darüber gesprochen worden. Ich hatte mir aber nicht vorstellen können, was es bedeutete und daß es Xammer so einzigartig machte. Überall erblickte ich Läden und Geschäfte mit luxuriösen Artikeln, mit denen das Schulhaus versorgt – und die an die Besucher der Stadt verkauft wurden. Überall erblickte ich Gasthöfe, doch keine dieser schäbigen Herbergen, die man sonst am Wegrand findet, sondern gepflegte Häuser, deren vornehmliches Ziel es war, prunkvoll zu wirken. Überall erblickte ich Besucher, hochrangige Spieler, die beim Betreten der Stadt unter Todeseid schwören mußten, hier kein Spiel zu spielen. Überall bemerkte ich deshalb auch falsche Höflichkeit und verschleierte Bösartigkeit, als Spieler mit Hilfe von Herolden, die nicht FLIEGEN durften und einer bestimmten Sorte Bauern, die sich Unterhändler und Schiedsmänner nannten, versuchten, ihre Ziele zu verfolgen. Niemals zuvor hatte ich Menschen soviel reden hören, nicht einmal in Himaggerys Audienzhalle.
Ich war beschlagen genug gewesen, mich angemessen, das heißt, ein bißchen aufgedonnert und angeberisch zu kleiden und wurde deshalb einigermaßen höflich empfangen, als ich am Schulhaus vorstellig wurde. Das Haus besaß ein großes, elegantes Eingangstor, das in einen sonnigen Hof führte, in dem eine Katze und ihre Jungen unablässig zwischen Blumenkübeln tollten. Ich hatte erwartet, ins Schulgebäude gebracht zu werden, wurde aber statt dessen in ein kleines Empfangszimmer abseits des Hofes geführt und gebeten zu warten. Das Warten wurde mir erleichtert, weil eine hübsche Dienerin erschien, die Wein und Gebäck brachte, wobei sie sich absichtlich viel Zeit ließ, um mit mir zu flirten. Es machte uns beiden gleichermaßen Spaß, soviel, daß ich es fast bedauerte, als ich Seidenhands Schritte auf dem Mosaikfußboden hörte. Allerdings bedauerte ich es nicht mehr, als ich sie sah.
Sie war – noch immer Seidenhand, ja, aber gleichzeitig noch etwas mehr. Zuerst dachte ich, sie hätte sich irgendwie GEWANDELT, um so hübsch zu werden, doch dann sah ich, daß es nur an dem bißchen zusätzlichen Fleisch lag, das ihre Gesichtzüge glättete und ihre Arme und den Hals rundlicher machte, an dem bißchen mehr Schlaf in einem weichen Bett anstatt des harten Erdbodens, den wir während unserer Reise geteilt hatten, an weniger Sorgen, Kummer und Streß, an etwas mehr Seide auf der Haut, die sich vorher am rauhen Stoff der Reisekleidung gerieben hatte. Seidenhand scherte sich nicht um die Dienerin – und ich auch nicht –, sondern stürzte ohne Umschweife in meine Arme, gerade als sei ich ein verlorengeglaubter Liebster. »Peter«, sagte sie, »wie freue ich mich, jemanden von zu Hause zu sehen! Wie geht’s Himaggery? Ist der Schwimmteich im Obstgarten schon fertig? Ist dein thalan immer noch in der Leuchtenden Domäne? Wie geht’s deiner Mutter? Ich habe gehört, daß Windlow …« Plötzlich weinte sie an meinem Hals. Ich konnte die warme, prickelnde Nässe der Tränen spüren.
Es kam mir vor, als seien zwei Jahre ausgelöscht, und wir befänden uns just auf dem Weg von den Ruinen, wo ich sie kennengelernt hatte, zur Leuchtenden Domäne. Mühsam murmelte ich: »Du hast dich überhaupt nicht verändert, Seidenhand«, während mein Körper und mein Geist von dem heftigen Gefühl heimgesucht wurden, daß sie sich
Weitere Kostenlose Bücher