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Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent

Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent

Titel: Das Wahre Spiel 03 - Das dreizehnte Talent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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Spielmeister gab uns eine Regel mit auf den Weg, um sich leichter erinnern zu können. Wenn sich ein Talent beständig zeigt, wie zum Beispiel bei einem Herrscher oder einem Magier, dann ist der Spieler einer der wichtigeren Beständigen.« Das Mädchen lächelte, und ich fuhr fort: »Diejenigen, deren Talent nicht jederzeit, aber immer überwiegend aus sich selbst vorhanden ist, zum Beispiel Seher oder Schildwächter, gehören zu den geringeren Beständigen.«
    Sie neigte den Kopf neckisch zur Seite und schaute hoch in das Gesicht des Magiers, der immer noch schwieg. Ihre Lippen schürzten sich zu einem kleinen Kuß. »Und die Vergänglichen? Wie lautet ihre Regel?«
    »Die Spieler, die ihr Spiel und ihre Kraft von anderen holen können, nennt man die wichtigeren Vergänglichen«, sagte ich. »Zum Beispiel Dämone, die die Gedanken anderer LESEN, aber nicht ständig. Und dann gibt es noch die geringeren Vergänglichen, deren Wert einzig daraus besteht, von anderen Spielern benutzt zu werden. Talisman, zum Beispiel. Oder Totem.«
    »Aha. Aus Eurem Mund klingt das äußerst reizvoll.« Sie schaute wieder zu dem Magier hoch, nachdem sie mir einen raschen ironischen Blick zugeworfen hatte, und dieser Blick enthielt alles, was ich bis dahin nicht verstanden hatte. Es stimmte überhaupt nicht, daß sie sich nicht erinnern konnte oder daß sie sich für das Thema nicht interessierte. Sie kannte sich aus, möglicherweise besser als ich, aber man hatte ihr beigebracht, es nicht zu zeigen. Ich sah, wie ein kleines sardonisches Lächeln über das Gesicht des Magiers huschte und wandte mich verärgert ab. Es besteht wirklich wenig Unterschied, dachte ich, zwischen den geweihten Monstern der Zauberkünstler und denen hier. Ich fragte mich, wie Seidenhand sich zu so etwas hergeben konnte, was immer es auch sein mochte. Vielleicht hatte ich später Zeit, sie zu fragen, aber inzwischen war die Pause vorüber, und der Sieger des Abends beglückte uns mit einem weiteren Lied.
    Er stand zwischen uns, lächelnd, gelassen, ohne das Instrument zu berühren, bis endlich völlige Ruhe eingetreten war. Als er dann die Saiten berührte, klang es, als erwecke er den Ton eines klagenden, hohen Windes, der meine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte und mich dazu brachte, meine Augen weit zu öffnen. Er sah mich an, während er, langsam näher kommend, sang:
     
    »Wand’rer in Waenauge,
    lausche dem Wind,
    wenn er vom Riesen aus Schatten singt,
    der frei, doch gefangen,
    nicht lebendig, noch tot,
    das Land durchmißt in schrecklicher Not.«
     
    Der Wind ertönte wieder, ein kaltes Klagen der Luft. Der Sänger stand nun dicht bei mir, seine Stimme so leise, als sänge er nur für mich allein.
     
    »Wo Einöde herrscht,
    wo kein Strauch noch Baum,
    wo Wegweiser zerfallen und der Pfade kaum,
    bei stürzendem Fels,
    in Schluchten tief,
    dort, Spieler, ist der Ort, zu dem der Wind dich rief.«
     
    Dann ging er weg, summend zwischen den Tischen hindurch. Die Musik erinnerte mich an Nacht und Glocken – als klänge aus Höhlen ein fernes, leises Weinen. Der Sänger stand jetzt neben Seidenhand.
     
    »Wand’rer in Bleer,
    der Wind weint bang,
    von fern klingt Schattenvolks Flötenklang.
    Wo Krylobos tanzen
    und der Gnarlibar sich vereint,
    dort, Spieler, begreif, warum der kranke Wind weint.«
     
    Er sah hoch und suchte wieder meinen Blick.
     
    »Berge höhnen und spotten,
    doch in felsigen Grotten
    verbirgt sich, o Zaub’rer, ein gefährliches Spiel.
    Und einer geht weit übers Land und singt:
    ›Heiler, Heiler, heil den Wind‹.«
     
    Die Musik verklang wie Wind, der ersterbendes Rascheln im Laub zurückläßt. Einen Augenblick lang trat Stille ein, dann klirrten vereinzelt Kelche auf den Tischen. Das Lied hatte keinen Anklang gefunden. Sofort griff der Sänger in die Saiten und stimmte ein schwungvolles Tanzlied an, dessen Kehrreim jeder kannte. Binnen weniger Augenblicke hatte buchstäblich jeder im Saal das Lied des Windes vergessen, falls sie es überhaupt richtig gehört hatten, jeder außer Seidenhand, mir und einer jungen Frau, die neben Seidenhand saß und mich nun mit einem Blick völligen Begreifens ansah. Sie hatte große dunkle Augen unter geraden Augenbrauen, ein blasses Gesicht mit einem leicht entrückten Ausdruck und einen zusammengepreßten Zug um die Mundwinkel wie jemand, der gewohnt ist, sich zum Schweigen zu zwingen.
    Auch mir hatte das Lied nicht gefallen, obwohl ich nicht hätte sagen können, warum. Der ganze Abend hatte

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