Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
dem Klischee anfreunden konnte, dass die Jugend an die Jungen verschwendet sei. Aber mit dieser Resolution würde dieses Klischee in nicht unerheblichem Maße wahr werden, und diese Vorstellung macht mich rasend.
Joseph Weingartner:
Ich habe Calliagnosie einen Tag lang ausprobiert, wie ich auch viele andere Agnosien zeitweilig ausprobiert habe. Das tun die meisten Neurologen, damit wir diese Zustände besser verstehen und uns in unsere Patienten hineinversetzen können. Aber für einen längeren Zeitraum wäre Calliagnosie nichts für mich, und sei es nur, weil ich schließlich mit Patienten zu tun habe.
Es gibt eine geringe Interferenz zwischen Calliagnosie und der Fähigkeit, die Gesundheit eines Menschen visuell einzuschätzen. Man übersieht zwar sicherlich nicht offenkundige Symptome wie zum Beispiel die Gesichtsfarbe, und ein Calliagnostiker erkennt Krankheitsbilder genau wie jeder andere auch, dafür reichen die normalen kognitiven Fähigkeiten vollkommen aus. Aber Ärzte müssen auch auf sehr subtile Hinweise reagieren, wenn sie einen Patienten untersuchen; manchmal verlässt man sich dabei nur auf seine Intuition, und Calliagnosie kann in solchen Fällen ein Handicap darstellen.
Natürlich wäre es nicht ganz aufrichtig, würde ich behaupten, dass ich nur aus beruflichen Gründen nicht bereit bin, Calliagnosie zu haben. Interessanter ist ja wohl die Frage: Würde ich mich für Calliagnosie entscheiden, wenn ich nur Forschungsarbeit leisten würde und nie in die Nähe eines Patienten käme? Und auf diese Frage müsste ich mit »nein« antworten. Wie vielen anderen Menschen gefällt mir der Anblick eines schönen Gesichts, und ich halte mich für erwachsen genug, mein Urteil dadurch nicht beeinflussen zu lassen.
Tamera Lyons:
Ich kann es nicht fassen, Garrett hat seine Calli wieder einschalten lassen.
Wir haben gestern noch mal telefoniert, ganz normal geplaudert, und dann frage ich ihn, ob er auf Videomodus umschalten will. Und er sagt »gut«, und das tun wir dann auch. Da merke ich, dass er mich nicht mehr so ansieht wie vorher. Also frage ich ihn, ob mit ihm alles in Ordnung ist, und da erzählt er mir, dass er jetzt wieder Calli hat.
Er sagt, er hat es getan, weil er mit seinem Aussehen nicht zufrieden ist. Ich habe ihn gefragt, ob jemand etwas gesagt hat, und falls das so ist, dann soll er nichts darauf geben, aber er sagt, das sei nicht der Grund. Es hat ihm einfach nicht gefallen, was er im Spiegel sah. Ich sage also: »Was meinst du damit, du siehst süß aus.« Ich habe versucht, ihn dazu zu bringen, es doch noch einmal ohne zu versuchen, und ihm gesagt, er soll einfach ohne Calli noch ein bisschen abwarten, bevor er eine Entscheidung trifft. Garrett hat gesagt, er denkt darüber nach, aber ich habe keine Ahnung, was er tun wird.
Nachher hab ich jedenfalls angefangen, mir über meine Motive Gedanken zu machen. Hatte ich ihm das gesagt, weil ich Calli nicht mag, oder ging es darum, dass er sehen soll, wie ich aussehe? Ich meine, natürlich hat es mir gefallen, wie er mich ansah, und natürlich habe ich gehofft, das würde zu etwas führen, aber deswegen bin ich doch jetzt nicht inkonsequent, oder? Wenn ich immer für Calli gewesen wäre, und jetzt nur wegen Garrett umschwenken würde, dann wäre das etwas anderes. Aber ich bin gegen Calli, also gilt das nicht.
Ach was, wem will ich etwas vormachen? Ich wollte, dass Garrett seine Calli abschalten lässt, weil das zu meinem Vorteil wäre, nicht weil ich gegen Calli bin. Und eigentlich geht es ja auch gar nicht darum, dass ich generell gegen Calli bin, ich bin nur dagegen, dass sie Pflicht wird. Ich will nicht, dass jemand anderes mir vorschreibt, dass Calli gut für mich ist; weder meine Eltern noch meine Studentenvertretung. Aber wenn jemand für sich entscheidet, dass Calli für ihn das Beste ist, dann habe ich nichts dagegen. Also sollte ich auch Garrett seine Entscheidungsfreiheit lassen, das ist mir schon klar.
Es ist nur so frustrierend. Ich meine, ich hatte mir das alles so schön zurechtgelegt: Garrett würde mich unwiderstehlich finden und erkennen, was für einen Fehler er gemacht hat. Das hat nicht geklappt, und jetzt bin ich enttäuscht, das ist alles.
Auszug aus Maria deSouzas Rede am Tag vor der Wahl:
Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir gezielt unseren Verstand verändern können. Wir müssen uns nur noch darauf verständigen, wann es geboten ist, dies zu tun. Wir sollten nicht von vornherein davon ausgehen, dass das
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