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Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Titel: Das wahre Wesen der Dinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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Infektionsrisiko.
    Es gefällt mir, wenn ich die Leute schockiere. Manchmal vergeht ihnen sogar der Appetit, wenn sie beim Essen sind. Aber es geht gar nicht nur darum, die Leute zu erschrecken. Es geht darum, mit Hässlichkeit die schönen Menschen mit den eigenen Waffen zu schlagen. Wenn ich eine Straße entlanggehe, sehen mir mehr Menschen hinterher als jeder schönen Frau. Wenn ich neben einem Model stehe, wen sieht man dann zuerst an? Mich natürlich. Man will das nicht, aber man kann gar nicht anders.
    Tamera Lyons:
    Garrett und ich, wir haben gestern wieder telefoniert, und dann kamen wir auch darauf zu sprechen, ob einer von uns mit jemand anderem zusammen ist. Und ich tat gleichgültig und sagte, ich wäre mit ein paar Jungs ausgegangen, aber nichts Ernstes.
    Ich fragte ihn also das Gleiche. Er druckste etwas herum, aber schließlich sagte er, es fiele ihm schwerer, sich mit Mädchen anzufreunden, als in unserer Schulzeit. Erheblich schwerer, als er es erwartet hätte. Und jetzt glaubt er, es liegt an seinem Aussehen.
    Ich sagte zwar »Niemals«, aber eigentlich wusste ich gar nicht, was ich dazu sagen sollte. Einerseits bin ich froh, dass Garrett sich mit keinem anderen Mädchen trifft, in gewisser Weise tut er mir auch leid, vor allem aber war ich überrascht. Ich meine, er ist klug, er ist witzig, er ist ein netter Junge, und das sage ich alles nicht nur, weil ich mit ihm ausgegangen bin. In unserer alten Schule war er wirklich beliebt.
    Aber dann fiel mir wieder ein, was Ina über mich und Garrett gesagt hat. Wahrscheinlich heißt klug und witzig sein noch nicht, dass man in der gleichen Liga spielt wie jemand anderes, man muss auch genauso gut aussehen. Und wenn Garrett mit hübschen Mädchen redet, dann haben die vielleicht nicht den Eindruck, dass er in der gleichen Liga spielt.
    Ich habe nicht weiter nachgehakt, weil ich den Eindruck hatte, er wollte nicht darüber reden. Aber später habe ich dann gedacht, dass ich nach Northrop fahren werde und nicht umgekehrt, wenn wir uns treffen sollten. Natürlich hoffe ich, dass sich zwischen uns etwas ergibt, aber ich denke auch, dass er sich vielleicht besser fühlt, wenn die Leute in Northrop uns zusammen sehen. Ich weiß, dass das manchmal funktioniert: Wenn man mit einer tollen Person zusammen ist, dann fühlt man sich selbst auch toll, und andere Menschen halten einen für toll. Ich glaube zwar nicht, dass ich absolut toll bin, aber es sieht so aus, als würde den Leuten mein Aussehen gefallen, also hilft das vielleicht.
    Ellen Hutchinson, Dozentin für Soziologie an der Universität von Pembleton:
    Ich bewundere die Studenten, die diese Kampagne auf die Beine gestellt haben. Ich finde ihren Idealismus anerkennenswert, aber das Ziel dieser Kampagne sehe ich doch sehr zwiespältig.
    Wie jede andere Frau in meinem Alter habe ich mich mit den Spuren der Zeit in meinem Gesicht auseinandersetzen müssen. Es war ein steiniger Weg, aber jetzt bin ich mit meinem Aussehen zufrieden. Andererseits kann ich nicht verhehlen, dass ich neugierig wäre, wie sich eine Gesellschaft entwickeln würde, in der jeder Calli hat. Vielleicht würde eine Frau in meinem Alter dann nicht unsichtbar, wenn eine junge Frau den Raum betritt.
    Aber hätte ich mich in meiner Jugend für Calli entschieden? Ich weiß es nicht. Sicher hätte es mir einiges von dem Kummer erspart, den das Älterwerden mit sich brachte. Aber als ich jung war, habe ich mein Aussehen genossen. Darauf hätte ich bestimmt nicht verzichten wollen. Ich bin mir nicht sicher, ob es für mich jemals einen Punkt gegeben hätte, an dem die Vorteile von Calli die Nachteile überwogen hätten, nicht einmal, als ich älter wurde.
    Und vielleicht verlieren die Studenten von heute nicht einmal ihre jugendliche Schönheit. Bei all den Gentherapien, die jetzt auf den Markt kommen, können sie jahrzehntelang jugendlich aussehen, vielleicht sogar ihr ganzes Leben lang. Sie müssen sich vielleicht nie mit den Folgen des Älterwerdens auseinandersetzen; und in dem Fall würde Calli sie nicht einmal vor dem Leid schützen, das ich noch ertragen musste. Deswegen macht mich der Gedanke, dass sie freiwillig einen der großen Vorteile der Jugend aufgeben wollen, richtiggehend wütend. Manchmal möchte ich sie am liebsten schütteln und sagen: »Wisst ihr eigentlich, was ihr da habt?«
    Es hat mich immer beeindruckt, wenn junge Menschen bereit waren, für ihre Überzeugungen zu kämpfen. Das ist einer der Gründe, warum ich mich nie mit

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