Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
würde man Make-up tragen. Ich habe sie nur auf eine niedrige Stufe eingestellt, aber ich glaube, das machte für mein Aussehen schon einen ziemlichen Unterschied. Vielleicht war das sogar ein bisschen übertrieben, ich weiß auch nicht, ob Garrett so etwas bemerkt, aber ich wollte einfach so gut wie möglich aussehen.
Und kaum hatte ich auf den Videokanal umgeschaltet, da konnte ich seine Reaktion sehen. Er bekam ganz große Augen. Er fing an mit »Du siehst wirklich gut aus«, und ich sagte »Danke«. Und dann wurde er etwas verlegen und machte Witze darüber, wie er aussah, aber ich sagte ihm, dass ich sein Aussehen mag.
Wir redeten noch eine Weile über den Videokanal, und ich war mir die ganze Zeit der Tatsache bewusst, dass er mich ansah. Das war ein gutes Gefühl. Ich hatte den Eindruck, dass er ins Grübeln kam, ob wir nicht vielleicht doch wieder zusammensein sollten, aber vielleicht habe ich mir das auch eingebildet.
Ich glaube, ich werde beim nächsten Mal, wenn wir telefonieren, vorschlagen, dass er mich übers Wochenende besucht, oder ich könnte zu ihm nach Northrop fahren. Das wäre doch toll. Aber vorher muss ich noch lernen, wie ich selbst Make-up anlegen kann.
Ich weiß, es gibt keine Garantie, dass er mich zurückhaben will. Das Abschalten meiner Calli hat nicht dazu geführt, dass ich aufgehört habe, ihn zu lieben, also bringt es ihn vielleicht nicht dazu, mich wieder zu lieben. Aber hoffen darf man ja wohl.
Cathy Minami, 5. Semester:
Jeder, der behauptet, die Calli-Bewegung sei gut für Frauen, verbreitet die Propaganda aller Unterdrücker: Sie behaupten damit, dass Unterdrückung eigentlich Schutz ist. Calli-Befürworter möchten Frauen, die schön sind, dämonisieren. Schönheit kann denjenigen, die sie besitzen, mindestens so viel Freude bereiten wie denen, die sie wahrnehmen, aber die Calli-Bewegung versucht Frauen Schuldgefühle einzureden, wenn sie die eigene Schönheit genießen. Das ist nur eine weitere patriarchalische Strategie zur Unterdrückung der weiblichen Sexualität, und wieder einmal sind viel zu viele Frauen darauf hereingefallen.
Natürlich ist Schönheit schon immer als Werkzeug der Unterdrücker benutzt worden, aber sie deswegen abzuschaffen, ist keine Lösung; du kannst die Menschen nicht befreien, indem du ihnen bestimmte Erfahrungen vorenthältst. Das gehört in den Orwellschen Schreckenskatalog. Wir brauchen einen weiblichen Begriff von Schönheit, bei dem sich alle Frauen gut fühlen, und nicht einer, bei dem sich die meisten schlecht fühlen.
Lawrence Sutton, 7. Semester:
Ich konnte sehr gut nachvollziehen, was Walter Lambert in seiner Rede sagen wollte. Ich hätte es vielleicht nicht genau so ausgedrückt, aber er hat mir aus der Seele gesprochen. Ich habe vor einigen Jahren Calli machen lassen, lange bevor diese Kampagne zu einem Thema wurde, weil ich mich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren wollte.
Und damit meine ich nicht nur das Studium. Ich habe eine Freundin, und wir führen eine sehr gute Beziehung. Daran hat sich nichts geändert. Geändert hat sich nur die Art, wie ich mit Werbung umgehe. Früher konnte ich immer spüren, wie meine Aufmerksamkeit in Beschlag genommen wurde, sobald ich an einem Zeitschriftenstand vorbeikam oder einen Werbespot sah. Ich hatte immer das Gefühl, die wollen mich gegen meinen Willen stimulieren. Gar nicht unbedingt sexuell, aber irgendwie appellieren sie an meinen Bauch. Und ich machte dann automatisch dicht und konzentrierte mich auf das, was ich eigentlich tun wollte. Aber es war eine Ablenkung, und sich gegen diese Ablenkung zu wehren, kostete Kraft, die ich anderweitig sinnvoller hätte einsetzen können.
Jetzt, mit Calli, ist dieser Drang weg. Die Calli hat diese ungewollten Ablenkungen beseitigt und mir meine Kraft zurückgegeben. Deswegen bin ich uneingeschränkt dafür.
Lori Harber, 5. Semester, Maxwell College:
Calli ist was für Weicheier. Ich finde, wir sollten zurückschlagen. Richtig hässlich werden. Damit müssen die schönen Menschen konfrontiert werden.
Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich mir die Nase amputieren lassen. Medizinisch gesehen ist das viel komplizierter, als es sich anhört. Damit der Staub auch weiter aus der Atemluft rausgefiltert wird, müssen die Nasenhärchen weiter nach innen verpflanzt werden. Und der sichtbare Knochen hier (sie tippt mit dem Fingernagel dagegen), ist kein echter Knochen, sondern Keramik. Echte Knochen freizulegen, birgt ein viel zu hohes
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