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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Tür und erblickten zwei Gestalten dort im Schnee vor dem Hintergrund der Sterne und des Mondes.
     
    Noch eine Tür, spät im Laufe einer bitterkalten Nacht. Wenige, die noch auf den vereisten Straßen unterwegs waren. Der Keiler hatte längst seine Pforten geschlossen, worauf Kevin und Dave sich gemeinsam mit Diarmuid und seinen Männern zu den Unterkünften der Soldaten von der Südfeste aufgemacht hatten. Zu dieser Stunde kurz vor Morgengrauen, als der Norden noch näher gekommen und der Wind heftiger zu blasen schien, blieben die Wachen dicht bei ihren Posten, über kleinere Feuer gebeugt, die man ihnen gestattet hatte. Von nirgendwoher würde derzeit ein Angriff zu befürchten sein, nichts konnte sie angreifen, und es war allen klar, dass dieser Wind, dieser Schnee, dieser gesamte Winter samt der dahinter stehenden bösen Absicht schon Angriff genug war. Es war kalt genug, um einen Menschen das Leben zu kosten, und das war auch bereits geschehen, und obendrein wurde es immer noch kälter.
    Nur ein Mann spürte das nicht. In Hemd und Jeans wanderte Paul Schafer ganz allein durch die Gassen und Straßen der Stadt. Der Wind zauste sein Haar, störte ihn jedoch nicht weiter, und er hielt den Kopf aufrecht, während er dem Norden trotzte.
    Er lief beinahe ziellos umher, vor allen Dingen, um die Nacht zu genießen, seine wundersame Unempfindlichkeit zu bestätigen und mit der Entfernung fertig zu werden, die dadurch zwischen ihn und alle übrigen trat. Eine ungeheuer weite Entfernung.
    Und wie konnte es anders sein bei einem, der am Sommerbaum einen Vorgeschmack auf den Tod erhalten hatte? Hatte er denn erwartet, nur einer von vielen zu sein? Ein Freund von gleichem Rang für Carde und Coll, oder gar für Kevin? Er war der Zweimal Geborene, er hatte die Raben gesehen und sprechen gehört, er hatte im Walde der Dana gelauscht und hatte Mörnir in seinem Innern gespürt. Er war der Pfeil des Gottes, der Speer. Er war Herr des Sommerbaums.
    Und es schmerzte ihn, dass es ihm unmöglich sein sollte, zu erschließen, was immer das bedeuten mochte. Er war gezwungen gewesen, vor Galadan die Flucht zu ergreifen, begriff jedoch nicht, wie ihm gemeinsam mit Jennifer der Übergang gelungen war. Hatte Jaelle darum bitten müssen, sie zurückzuschicken, und er wusste, dass sie ihm das bei dem kaum erst begonnenen Gedankenaustausch zwischen Göttin und Gott immer wieder vorhalten würde. Und heute Abend hatte er nicht einmal Fordaethas Annäherung bemerkt; nur Tienes Tod war es gewesen, der ihm die Möglichkeit gegeben hatte, die Raben sprechen zu hören. Und selbst das – er hatte sie nicht gerufen, wusste nicht, woher sie kamen oder wie er sie noch einmal herbeirufen konnte.
    Er kam sich vor wie ein Kind. Ein trotziges Kind, das ohne seinen Mantel herumläuft bei winterlicher Witterung. Und es stand doch so viel auf dem Spiel. Praktisch alles.
    Ein Kind, dachte er noch einmal, und nach und nach wurde ihm klar, dass er doch nicht so ziellos umhergewandert war. Er befand sich auf der Straße, die zu dem grasbewachsenen Platz führte. Er stand vor einer Tür, derer er sich entsann. Der Laden war zu ebener Erde; die Wohnung darüber. Er hob den Blick. Natürlich war alles dunkel; es war sehr spät, sie würden schlafen, Vae und Finn, und Darien.
    Er wandte sich zum Gehen, doch dann erstarrte er, und zum ersten Mal in dieser Nacht war ihm kalt, während das Mondlicht ihn etwas sehen ließ.
    Er trat vor und drückte gegen die Ladentür. Sie sprang auf, und die lockeren Scharniere quietschten. Im Innern standen noch die Borde voller Tuch und Wolle, und auf der gegenüberliegenden Seite die mit dem fertigen Zeug. Doch im Durchgang dazwischen lag Schnee und türmte sich an den Ladentischen auf. Er bemerkte, dass die Stufen vereist waren, als er im Dunkeln emporstieg. Alles Mobiliar war noch an Ort und Stelle, alles so, wie er sich daran erinnerte, doch das Haus war menschenleer.
    Er vernahm einen Laut und wirbelte herum, gepackt von echtem Entsetzen. Er sah, was den Laut hervorgerufen hatte: Im Wind, der durch eine zerbrochene Fensterscheibe hereinblies, schaukelte eine Wiege langsam hin und her.

 
Kapitel 7
     
    Er gestattete sich eine gewisse Befriedigung. Sein Vorhaben war gelungen, sogar, was die Zeiteinteilung anging, ganz hervorragend. Sie waren nachts in Cynan eingetroffen und hatten am Morgen ihre Botschaft ans andere Flussufer gesandt, eine bloße halbe Stunde, ehe die eigens für diesen Zweck angefertigten Kähne das Heer von

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