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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Gedanken, an ihnen vorbeizuziehen, entschied sich jedoch dagegen. Es würde ihm eine Genugtuung sein, jedenfalls insoweit, als er sich überhaupt gestattete, Genugtuung zu empfinden, auf den Fersen ihrer Ehren-Eskorte in Paras Derval einzutreffen, so als hätte er sie in die Flucht geschlagen.
    Es war, beschloss er, gut so. In Sang Marlen würde Galienth die Beschlüsse seiner Tochter überwachen. Es war an der Zeit, dass sie sich in der Staatskunst zu üben begann, die sie gelernt hatte, seit ihr Bruder gestorben war. Er würde keinen weiteren Erben mehr bekommen. Außerdem war es für Sharra an der Zeit, verehelicht zu werden, doch jedes Mal, wenn er das Thema zur Sprache gebracht hatte, war sie ihm ausgewichen. Bis auf das letzte Mal, als sie ihr vorgeblich fügsames Lächeln aufgesetzt hatte (er wusste es zu deuten; einst war es das ihrer Mutter gewesen) und in ihre Schale eisgekühlten M’raes hineingemurmelt hatte, sie werde sich in der Tat verehelichen … . und habe sich Venassar von Gath zum Gemahl erkoren.
    Nur die Erfahrung von Jahrzehnten hatte ihn davon abgehalten, sich von seinem Ruhelager zu erheben und dem gesamten Hof samt den Eidolathen seine Enttäuschung zu zeigen. Schlimmer noch als die Aussicht, jene kaum einer Empfindung fähige, ungelenke Memme neben Sharra auf dem Thron zu sehen, war der Gedanke an den geierähnlichen Bragon von Gath, seinen Vater, der dann hinter diesem Thron stehen würde.
    Er war auf ein anderes Thema übergegangen, nämlich wie sie während seiner Abwesenheit mit den Abgaben zu verfahren habe. Der beispiellose Winter, der selbst den See bei Larai Rigal hatte gefrieren lassen und T’Varens Gärten verödete, habe überall seinen Tribut verlangt, erläuterte er, und sie werde auf dem schmalen Grat der Abwägung zwischen Mitgefühl und Nachgiebigkeit wandeln müssen. Sie hörte ihm zu, nach außen hin ein Bild beflissener Aufmerksamkeit, aber er sah sie mit gesenktem Blick lächeln. Er selbst lächelte nie; dadurch verriet man zuviel. Andererseits war er nie schön gewesen, und Sharra war es in hohem Maße. Doch die Schönheit war ihr Mittel zum Zweck, wenn nicht gar eine Waffe, das war ihm klar, während er wieder einmal um seine königliche Fassung rang.
    Selbst jetzt noch musste er sich um sie bemühen, auf dem rasenden Ritt nach Paras Derval, als er sich des überlegenen Lächelns seines unmöglichen Kindes entsann. Schon wieder ein lohnenswerter Gedanke, sagte er zu sich, und gleich darauf hatte er ihm den nötigen Tiefsinn verliehen. Ein zweites Mal hob er die halb zur Faust geballte Hand, und einen Augenblick später kam Raziel herbeigezockelt, auf befriedigende Weise unglücklich, um alles niederzuschreiben. Worauf Shalhassan die Gedanken von seiner Tochter abwandte, nach dem Stand der Nachmittagssonne schaute und zu dem Schluss kam, dass sie es nicht mehr weit hatten. Er richtete sich auf, glättete den schweren Mantel, kämmte seinen Bart mit den zwei Spitzen aus und machte sich bereit, mit den Berittenen und den Streitwagen von Cathal, prachtvoll und untadelig aufgereiht, in die unordentliche Hauptstadt seiner darauf nicht vorbereiteten Verbündeten einzufallen. Dann würde man sehen, was es zu sehen gab.
    Sie waren noch eine Meile von Paras Derval entfernt, als alles plötzlich ganz anders kam.
     
    Erstens war dort die Straße unpassierbar. Als der Vortrupp, den die Eskorte bildete, immer langsamer wurde und sein Wagenlenker nach und nach ebenfalls, spähte Shalhassan voraus, die Augen im grellen Licht des sonnenbeschienenen Schnees zusammengekniffen. Als sie schließlich allesamt zum Stillstand gekommen waren, wobei die Pferde in der Kälte stampften und schnaubten, fluchte er innerlich mit einer Heftigkeit, die seine äußerliche Gleichmut überhaupt nicht vermuten ließ.
    Vor ihnen saßen an die zwanzig Soldaten zu Pferd, ordentlich gewandet in Braun und Gold, und präsentierten mit ungeheurer Feierlichkeit vor ihm die Waffen. Hinter ihren Reihen hervor ertönte süß und rein ein Horn, und die Soldaten machten zackig kehrt und bildeten ein Spalier zu beiden Seiten der breiten Straße, um sechs Kindern Platz zu machen, die eins wie das andere in Rot gekleidet waren, leuchtend vor dem Schnee im Hintergrund. Zwei von ihnen näherten sich, vorbei an der Eskorte aus Seresh, und reichten, unbeeindruckt durch die Rastlosigkeit seiner Pferde, Shalhassan von Cathal Blumen aus Brennin als Willkommensgabe.
    Mit todernstem Gesicht nahm er sie entgegen. Wie kamen sie

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