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Das Weihnachtshaus

Das Weihnachtshaus

Titel: Das Weihnachtshaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Jones Gunn
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sie mit ihrer einnehmenden Stimme, wobei ein zartes Rosa ihre Wangen färbte, «war der glücklichste Tag in meinem Leben. Du bist Sonne, Mond und Sterne für mich geworden, und meine geheimsten Träume wurden wahr. Denk immer daran, dass das Leben ein Geschenk ist und dass dein Licht besonders hell strahlt, meine süße Miranda.»
    Wie ein Vogeljunges nahm ich jedes Wort von den Lippen meiner wunderschönen Mutter begierig auf. Wir hatten beide dunkles Haar, dichte, feingeschwungene Brauen und schlanke Beine, und wir sahen uns sehr ähnlich. Ihre Augen waren so tiefblau, dass sie schon fast schwarz aussahen. Meine Augen dagegen waren von so klarem und durchsichtigem Blau wie Murmeln, die man gegen die Sonne hält. Die Klarheit meiner Augen übertrug sich auch auf meinen Verstand.
    Bis ich knapp neun Jahre alt war, hatte ich keine sehr ausgeprägte Vorstellung von Vernunft. Was die Entwicklung meines Verstandes betraf, so war ich ein Spätzünder. Deshalb sah ich nicht, welche Gefahren im Zusammenleben mit einer solchen Frau lauerten. Ich wusste nicht, dass zwischen Kunst und Täuschung nur ein schmaler Grat verläuft. Ich wusste nicht, wann sie spielte und wann sie die Wahrheit sagte. Für mich war alles wirklich. Jedes Wort, jedes Lächeln, jede Träne.
    Meine lebendigsten Erinnerungen habe ich seit dem Tag, an dem wir nach Ashland fuhren. Die Hügel im südlichen Oregon verblassten von Grün zu Gelb, und der heiße Duft des trocknenden Grases kam durch das Wagenfenster und legte sich süßlich über den stickigen Teer- und Asphaltgeruch des Freeway 5.
    An einem Dienstagnachmittag checkten wir in unser Zimmer im Swan Motel ein und aßen im Schneidersitz auf unserem Bett Pizza. Danach lebten wir im Rhythmus ihrer Auftritte.
    Ob Mittwoch war oder Donnerstag – es spielte keine Rolle. Meine Mutter kam nachts immer sehr spät zurück und schlief dann nur ein paar Stunden.
    Meistens ging ich mit ihr ins Theater und suchte dort nach immer neuen Möglichkeiten, mich unsichtbar zu machen. Für eine Neunjährige war ich in meiner Rolle als Phantom ziemlich gut. Wenn ich nicht so gut war, bekam ich am nächsten Tag einen Babysitter, Carlita, die mir rosa Kokoskekse brachte.
    Manchmal blieb ich allein im Motel, verriegelte die Zimmertür und drehte den Fernseher ganz laut. Nie habe ich jemandem erzählt, dass meine Mutter mich allein ließ.
    Am schönsten waren die Tage, wenn ich beim Aufwachen das Wasser in der Dusche laufen hörte. Das bedeutete, dass sie sich nicht schlafen legen würde und ich leise sein musste. An den Tagen blieb ich im Bett liegen, tat so, als würde ich noch schlafen, und dann kam meine Mutter ans Bett, beugte sich mit ihren langen schwarzen Haaren über mich und gab mir einen Kuss. Sie sagte: «Wach auf, mein kleiner Vogel! Lass uns davonfliegen und auf goldenen Sonnenstrahlen speisen.»
    Dann gingen wir Hand in Hand über die Straße und frühstückten in dem kleinen Café mit den lilafarbenen Blumen am Eingang. Wir saßen immer ganz dicht nebeneinander in der Sitzecke aus rotem Kunstleder. Ich bestellte jedes Mal Waffeln. Waffeln mit Erdbeeren, die kalt und matschig waren und nach Gefrierbrand schmeckten. Ich hielt das Kännchen mit Ahornsirup über die Waffeln und die Erdbeeren und goss einen dünnen Kreis aus flüssigem Gold darüber. Es war die reinste Wonne, wenn der Sirup meine Zunge berührte.
    Eve Carson, die Schauspielerin, bestellte immer Rühreier mit Tomaten und einen kleinen Grapefruitsaft. Wenn die Bedienung gegangen war, steckte meine Mutter sechs bis acht Tütchen Zucker in ihre Tasche. Sie griff ganz ruhig nach ihnen, ohne dabei ihre tiefblauen Augen von mir abzuwenden. Einmal hat sie einen Löffel mitgenommen. Meine Mutter war sehr gut, wenn es um Kleinigkeiten ging.
    Wann immer wir es uns gemütlich machten, fühlte ich mich weder vernachlässigt, noch war ich eifersüchtig auf die Zeit, die sie mit ihrer anderen Liebe verbrachte, dem Theater. Wenn ich sie nah bei mir spürte, fiel es mir leicht, zu glauben, dass ich ihr Sonne, Mond und Sterne war.
    Ich glaubte alles, was sie mir erzählte.
    Bis zu dem Tag, an dem ich die blaue Samttasche mit den goldenen Troddeln fand.

VIERTES KAPITEL
    Doch bevor ich die Tasche fand, entdeckte ich den einäugigen Drachen.
    Wenn ich damals an ein geordnetes Universum geglaubt hätte, wäre mir klar gewesen, warum das eine vor dem anderen kam. Aber wie ich schon erwähnte, war ich für die Vernunft noch zu jung und für theologische Fragen noch zu

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