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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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VERBOTEN …
    Er stand auf und schaute auf die Wände. Seltsam graue, kalt schwitzende, dicke Mauern, vollgepackt mit Dramen – und so alt … Alt. Seltsam auch bei den Frauen … wie sie alterten. Wirklich traurig. Du hast die jungen gesehen, straff und aufreizend, und ihr Stolz war dir zuwider, denn Stolz auf etwas Mechanisches und Vorübergehendes war unangebracht. Stolz stand nur denjenigen zu, die neue Formen schufen und siegten … Er lächelte wieder und sah auf die Wände. Freundlich und solide wirkten sie, und er fuhr mit dem Finger an dem rauen, nassen grauen Putz entlang.
    Er hatte einen trockenen Mund und ging zum Wasserhahn hinüber, um seine Blechtasse zu füllen. Das Wasser kam in einem harten Strahl, der weißen Schaum in der Tasse aufwirbelte. Er drehte den Hahn zu, aber zu spät, so dass das Wasser überschwappte und auf einem seiner Schuhe einen Flecken sauberes, poröses Leder freilegte. Langsam drehte sich etwas hinter seiner Stirn, und er dachte, es ist zu still. Er trank das Wasser, aber es schmeckte stark nach Blech, und plötzlich wurde ihm übel, speiübel. Er setzte sich wieder auf die Pritsche, umgeben nur von Halbdunkel und Beton, und war sich seines Atmens bewusst, und spürte den Blechgeschmack in jedem Atemzug. Er trank den Rest Whiskey aus der Flasche, dann stellte er sie leise auf den Boden. Das Abstellen der Flasche war eine der wenigen selbständigen Handlungen, die ihm noch blieben. Er lehnte sich gegen die Wand, schloss die Augen, schlug sie auf und begriff, dass er jetzt wohl wirklich Angst hatte, dass sein Verstand nach einer Rechtfertigung für den Tod des Fleisches suchte.
    Als ihm das bewusst wurde, kroch ihm die Kälte in die Finger und an beiden Armen hoch, bis er krampfhaft mit den Schultern zuckte, um sie abzuschütteln. Es ist so still, dachte er wieder, und mit einem Mal fand sein Verstand einen Ausweg, eine Basis, und er hasste den Strudel, den sinndurchtränkten Strudel in seinem Kopf, die Gedankenmassen und die Rechnerei, das Gewicht von Zahl und Zufall; die Masse und den Druck ungeordneter und bezugloser Dinge, die einen ohne ein Aufblitzen, ein Seufzen, ein Ticken umbringen konnten.
    Aber halt, dachte er, lass nicht der Leidenschaft die Zügel schießen. Unbeherrschte Leidenschaft ist ein Zeichen von Minderwertigkeit! Hör zu. Nimm das alles und mach für die da Zahlen draus, harte, eherne Symbole, ausgewogene Formeln.
    Da musste er dann doch lachen – nicht lachen, sondern kichern wie eine Frau, ohne genau zu wissen warum, halbverrückt.
    »Wache!«
    »Wache!«, schrie er.
    Der Wärter kam und blieb vor dem Gitter stehen. »Möchten Sie einen Priester?«, fragte er.
    Der Wärter war kahlköpfig und fett, und als er ihn vor sich sah, dachte er: Kahlköpfig und fett, sein Gesicht ist eine Mischung aus Brutalität und Humor und kann sich zwischen beidem nicht entscheiden, und die Augen sind so klein, so klein.
    »Halten Sie mich bitte nicht für ungehobelt oder biestig, Herr Wärter, aber bei einem Menschen wie Ihnen ist es gleich, wann er lebt – ob heute, in zweitausend Jahren oder irgendwo dazwischen. Sie hinterlassen nichts fürs Auge, fürs Ohr, Sie bringen nichts Neues … Natürlich ist es trotzdem großartig zu leben, so großartig wie Sie. Großartig, da zu stehen und mich zu fragen, ob ich einen Priester möchte, großartig, Ihr harmloses Spielchen zu spielen und mitzubekommen, wie sich der große Knall anbahnt. Denn mitbekommen tun Sie schon was, auch wenn Sie beiseitetreten … aber ich kann mich nicht mehr hören. Sagen Sie mal was. Was meinen Sie, Herr Wärter?«
    »Was ich meine?«
    »Ja.«
    »Möchten Sie einen Priester?«
    »Nein. Gehen Sie.«
    Ihm war schlecht in seiner Zelle.
    Ich versuch’s, ich versuch’s, ich will doch sehen. Aber die ganze verdammte Welt scheint mir falsch zu sein, falsch . Ach, ich hätte in der Klinik bleiben sollen, wo ich an Leuten herumdoktern und nachts malen konnte. Nachts hätte ich mir eine eigene Welt erschaffen können. Aber ich wollte den ganzen Teich aufrühren, an den Grundfesten rütteln. Ach, Hunger – Hunger.
    Er blickte zu Boden, auf den Fleck, der einmal eine Schabe gewesen war, und lächelte wieder.

Schwer ohne Musik
    Larry wurde von seiner Vermieterin im Flur angehalten, als er von der Straße hereinkam.
    »Es ist jemand oben in Ihrem Zimmer. Die haben Ihr Inserat wegen des Plattenspielers und der Platten gesehen. Ich dachte, ich kann sie ruhig hochlassen. Wir haben uns eine ganze Weile

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