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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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unterhalten, und außerdem …«
    »Schon okay.« Er ging an ihr vorbei.
    Sie fasste ihn am Ellbogen. »Larry.«
    »Ja?« Er drehte sich um.
    »Es sind Nonnen.«
    Er schwieg.
    »Alles in Ordnung, Larry?«
    »Klar.«
    »Wirklich? Es sind Ordensschwestern, Larry. Wäre nicht schlecht, wenn’s keine wären.«
    Er ging die Treppe hinauf, dann zur Toilette auf dem Flur. Er schloss die Tür und sah in den Spiegel. Er trank ein Glas Wasser, dann steckte er sich eine Zigarette an und rauchte in schnellen, tiefen Zügen. Der Rauch stieg zur Decke hoch, und an der Zigarette bildete sich ein dünner, fester Aschestrang. Er nahm einen letzten Zug, ging zum Klo und warf die Kippe hinein. Noch einmal schaute er in den Spiegel …
    Die Tür zu seinem Zimmer stand offen, und er trat ein. Die eine Nonne saß auf dem Stuhl, die andere ging gerade mit einer Platte in der Hand zum Plattenspieler.
    Die auf dem Stuhl sah ihn zuerst. »Die sind ja wunder-wunderschön!«
    Larry ging zum Sessel hinüber und setzte sich. Vom Fenster aus konnte er die Bäume und den Garten sehen. Ob es stimmte, was Paul erzählt hatte? Dass sie sich die Köpfe rasierten?
    Die Nonne, die die Schallplatte in der Hand hielt, legte sie neben dem Apparat ab und wandte sich Larry zu.
    »Legen Sie sie ruhig auf«, sagte er. »Hören Sie sich an, so viele Sie wollen.«
    »Ach, die sind doch alle gut«, sagte die Nonne auf dem Stuhl.
    »Schwester Celia kennt sich aus«, sagte die Stehende.
    Die auf dem Stuhl lächelte. Ihre Zähne waren strahlend weiß. »Sie haben einen sehr guten Geschmack. Fast alles von Beethoven, Brahms, Bach …«
    »Ja«, sagte Larry. »Ja, danke.« Er wandte sich an die andere Nonne. »Nehmen Sie doch Platz«, meinte er. Aber sie rührte sich nicht.
    Auf der Stirn, den Handflächen und in der Halsbeuge brach ihm der Schweiß aus. Er wischte sich die Hände an den Knien ab. Wieso hatte er das Gefühl, er sei im Begriff, etwas Furchtbares zu tun? Wie schwarz sie angezogen waren, und dann das Weiß – was für ein Kontrast. Und die Gesichter. »Am liebsten«, sagte er, »höre ich Beethovens Neunte.« Das stimmte nicht. Er hatte keine Lieblinge.
    »Ich würde die Platten gern im Unterricht verwenden«, sagte Schwester Celia, die Sitzende. »Ohne Musik … ist es so schwer.«
    »Ja«, sagte Larry. »Für uns alle.« Es klang sehr dramatisch. Er hatte das Gefühl, nicht hierherzugehören. Es war Hochsommer. Die Augen fielen ihm zu, er hatte einen trockenen Hals. Ein dünner Luftzug strich ihm kurz über die Stirn. Er dachte an Krankenhäuser, an Desinfektionsmittel.
    »Es ist eine Schande, sie zu verkaufen. Na ja … für Sie«, sagte Schwester Celia. Sie war offensichtlich die Käuferin, dachte er. Die andere war nur dabei.
    Larry wartete einen Augenblick, bevor er antwortete: »Ich muss umziehen. In eine andere Stadt. Dabei würden sie doch nur kaputtgehen.«
    »Die wären sicher toll für meinen Unterricht, für die älteren Mädchen.«
    »Die älteren Mädchen«, sagte Larry. Dann schlug er die Augen auf und schaute direkt in das glatte Gesicht von Schwester Celia, in die hellen Nonnenaugen. »Das ist vernünftig«, sagte er. »Sehr vernünftig.« Seine Stimme war hart und metallisch geworden. Auch an den Beinen brach ihm der Schweiß aus, und der Hosenstoff stach ihm in die Beine. Seine Hände fuhren über die Knie. Er senkte den Blick, dann sah er wieder Schwester Celia an. Die andere Nonne schien weit weg zu sein, als hinge sie dort in der Luft.
    Dann legte er los. »In der modernen Grundschule hält man es aus zumindest mir unerfindlichen Gründen für angebracht, schon Achtjährigen Beethoven nahezubringen. ›Sind Komponisten Menschen?‹, hat einmal jemand gefragt. Nun, das weiß ich nicht, aber ich weiß, dass die Töne, die in der dritten Klasse aus dem Grammophon meiner Lehrerin kamen, für mich keine menschlichen Töne waren, nichts was mit dem wirklichen Leben, dem Alltag, dem Meer oder dem Baseballstadion in irgendeiner Beziehung stand. Und die Lehrerin mit ihrer ätherisch grüblerischen und erhabenen randlosen Brille, ihrer weißen Perücke und ihrer Sinfonie Nr. 5 hatte mit der Realität so wenig zu tun wie der übrige Kram … Mozart, Chopin, Händel … Die anderen lernten, was es mit den geschwänzten und ungeschwänzten Pünktchen auf sich hatte, die die Kreideleitern an der Tafel rauf und runter kletterten. Ich aber zog mich – aus Furcht und Abscheu – nach Schildkrötenart in den dunklen Panzer meines Innern

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