Das weisse Horn
wieder hin
und lag lange, nicht imstande aufzustehen. Wie ich zu
meinen Führern gelangte, weiß ich heute nicht mehr, aber
das ist auch einerlei. Hauptsache ist, daß der Kasten mit
den Skizzenblättern auf meinem Rücken heil blieb.
Endlich sahen mich die Führer. Sie trugen mich zum Lager,
legten mich auf den Rücken und schoben mir einen Quer-
sack unter den Kopf.
,Du scheinst zu sterben, Tschoross', bemerkte der älteste
Führer.
Wie Sie sehen, bin ich nicht gestorben, fühlte mich aber
laiige Zeit hindurch sehr elend. Mattigkeit und verminderte
Sehkraft hinderten mich am Leben und Arbeiten. Das große
Cemälde ,See der Berggeister' habe ich erst Jahre später
gemalt, und dies hier habe ich immer nach und nach ge-
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macht, seitdem ich wieder auf den Füßen stehe. Wie Sie
sehen, ist mir die Wahrheit über den See und seine Berg-
geister teuer zu stehen gekommen."
Tsdiorossow verstummte. Durch das dichte Gitterwerk des
großen Fensters sah man das in Dämmerung versunkene
Tal. Ich war tief beeindruckt von der Erzählung des Künst-
lers, konnte aber durchaus keine Erklärung für die wunder-
baren Erscheinungen finden, die das Gemälde festgehalten
hatte.
Wir gingen ins Eßzimmer hinüber. Die hell strahlende
Lampe über dem Tisch vertrieb die unwirklichen Schatten,
die aus der seltsamen Erzählung erwachsen waren. Ich
mußte einfach fragen, wo der See der Berggeister lag.
Vielleicht kam ich durch Zufall einmal in jene Gegend.
„Aha, hat er es Ihnen angetan?" lächelte Tsdiorossow.
„Nun, besuchen Sie ihn, wenn Sie sich nicht fürchten.
Notieren Sie!" — Eilig holte ich Notizbuch und Bleistift aus meiner Mappe. — „Der Ort liegt im Katungebirge, an seinem östlichen Ende.
Etwa vierzig Kilometer den Argutfluß von der Mündung
an stromaufwärts fließt ihm rechts das Flüßchen JuneUr zu.
Diese Stelle ist dadurch kenntlich, daß der Argut hier
einen Bogen macht und der Juneur auf eine weite ebene
Wasserfläche mündet. Von dort aus gehen Sie auf dem
linken Ufer den Argut aufwärts — sagen wir mal, etwa
sechs Kilometer —, und hier, rechter Hand, zeigt sich eine
kleine Quelle oder meinetwegen ein Bächlein. Es ist zwar
klein, aber das Tal dort sehr breit und es schneidet tief
ins Katungebirge ein. Dieses Tal müssen Sie entlang. Die
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Gegend ist trocken und mit großen, weitausladenden Lär-
chen bewachsen. Wenn Sie schon ziemlich hoch sind, kom-
men Sie an eine steile Stelle, ein kleiner Wasserfall stürzt
herab, und das Tal biegt nach rechts ab. Die Talsohle ist
flach und breit. Hintereinander liegen da fünf Seen, einen
halben bis einen Kilometer voneinander entfernt. Der
letzte, fünfte See, hinter dem es nicht weiter geht, ist der
See der Berggeister. Das ist allesl Nur passen Sie auf, daß
Sie sich in den Schluchten nicht irren, denn da sind eine
Menge Täler und Seen. Doch da fällt mir eben ein, dort
gibt's ein gutes Merkmal! An der Mündung des Bächleins,
zu dem Sie vom Argut aus einbiegen, ist ein kleiner
Sumpf. An seinem linken Rand stand eine riesige, trockene
Lärche mit doppeltem Wipfel, die wie eine Teufelsgabel
aussah. Wenn sie noch dort steht, erkennen Sie daran die
Stelle!"
Ich notierte mir diese Hinweise, ohne zu ahnen, welche
Bedeutung sie später für mich haben sollten. Am folgenden
Morgen sah ich mir Tschorossows Arbeiten an, aber keine
einzige war mit dem „See der Berggeister" zu vergleichen.
Ich kaufte zwei Skizzen von Schneebergen, und der Künst-
ler schenkte mir noch eine kleine Federzeichnung. Zum
Abschied sagte er:
„Ich sehe, wie Sie immer wieder den ,See der Berggeister'
betrachten, aber dies Bild kann ich Ihnen nicht geben. Ich
werde Ihnen eine Skizze schenken, die ich am See gemacht
habe, nur" — er schwieg einen Augenblick — „erst später,
wenn ich tot bin; jetzt fällt es mir schwer, mich davon zu
trennen. Aber nehmen Sie sich das nicht zu Herzen, es
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wird bald soweit sein. Man wird sie Ihnen schicken, be-
stimmt!" schloß der Künstler mit seiner verblüffenden
Leidenschaftslosigkeit.
Ich wünschte Tschorossow ein langes Leben und mir ein
baldiges Wiedersehen mit ihm. Dann bestieg ich mein
Pferd und sah den Künstler zum letzten Mal, — aber das
wußte ich damals noch nicht.
Ich kam nicht so bald wieder ins Altaigebirge. Vier Jahre
vergingen in angespannter Arbeit, und im fünften warf
mich ein schwerer Rheumatismus, die Berufskrankheit der
Taiga-Forscher, für ein halbes
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