Das weisse Horn
Sees
hinabstiegen.
Das ganze Bild atmete jene Weltabgeschiedenheit und
kalte, blitzende Reinheit, die mich auf dem Weg über das
Katungebirge so überwältigt hatte.
Lange stand ich davor und betrachtete die wahrheits-
getreue Darstellung der Schneeberge des Altai.
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„Wo habenSie solch einen See gefunden?" fragte ich. „Gibt
es ihn überhaupt?"
„Den See gibt es, und ich muß sagen, er ist in Wirklichkeit
noch schöner. Mein Verdienst ist es, daß ich das' Wesent-
liche des Eindrucks richtig wiedergegeben habe", ant-
wortete Tschorossow. „Dieses Wesentliche zu erfassen,
kam mich aber teuer zu stehen, übrigens ist dieser See
nicht so leicht zu finden, obgleich es natürlich möglich ist.
Aber was wollen Sie dort?"
„Ganz einfach, nur einmal an diesem wunderbaren Ort
sein. Wer das gesehen hat, der fürchtet den Tod nicht
mehr."
Der Künstler sah mich forschend an.
„Das haben Sie sehr treffend gesagt: ,Der fürchtet den Tod
nicht mehr.' Sie wissen wahrscheinlich nicht, was für Sagen
die Oiroten sich von diesem See erzählen?"
„Vermutlich sehr spannende, da das Volk dem See einen
so poetischen Namen gegeben hat."
Tschorossow schaute nach dem Bild hinüber.
„Haben Sie nichts Sonderbares bemerkt?"
„Doch, hier in der linken Ecke, wo der kegelförmige Berg
steht", antwortete ich. „Aber entschuldigen Sie bitte, hier
erscheinen mir die Farben ganz unmöglich!"
„Sehen Sie es noch einmal recht aufmerksam an!"
Ich betrachtete das Bild von neuem, und so fein war die
Ausführung der Malerei, daß beim längeren Hinschauen
immer mehr Einzelheiten aus der Tiefe des Bildes auf-
tauchten. Am Fuß des kegelförmigen Berges erhob sich
eine grünlich-weiße Wolke, die ein schwaches Licht aus-
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strahlte. Sein Widerschein kreuzte sich auf dem Wasser
mit dem Widerschein des Lichtes, das von den glitzernden
Schneemassen ausging, und bildete lange senkrechte, röt-
liche Schatten. Ebensolche, nur noch vollere, fast blutrote
Streifen wurden in den Spalten zwischen den steilen Fels-
hängen sichtbar. An den Stellen jedoch, wo die Sonnen-
strahlen ungebrochen durchdrangen, erhoben sich über den
Eis- und Steinmassen, gleich riesengroßen menschlichen
Gestalten, dunkelblau-grüne Rauch- oder Dampfsäulen und
gaben dieser Landschaft ein unheilverkündendes, phan-
tastisches Aussehen.
„Das ist mir unverständlich!" sagte ich und wies dabei auf
dia bläulich-grünen Säulen.
„Bemühen Sie sich nicht", lachte Tschorossow. „Sie kennen
die Natur gut und lieben sie, aber Sie glauben nicht an ihre
Wunder!"
„Und wie erklären Sie sich diese roten Feuer in den Felsen,
diese blaugrünen Säulen, diese leuchtenden Wolken?"
„Ganz einfach, es sind Berggeister!" antwortete der Künst-
ler ruhig.
Ich wandte mich nach ihm um, bemerkte aber nicht das
leiseste Lächeln auf seinem verschlossenen Gesicht.
„Ich scherze nicht", fuhr er in demselben Ton fort. „Sie
glauben, daß der See seinen Namen wegen seiner über-
irdischen Schönheit erhalten hat? Schön ist er, aber auch
heimtückisch! Das habe ich selber erfahren müssen. Als ich
das Bild skizziert hatte, konnte ich nachher kaum meine
Füße bewegen. Im Jahre 1909 war ich dort, und bis 1913
war ich ununterbrochen krank."
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Ich bat den Künstler, von den Sagen zu erzählen, die sich
an den See knüpfen. Wir setzten uns in die Ecke auf ein
breites Sofa, von wo aus wir das Gemälde gut sehen
konnten.
„Die Schönheit dieser Gegend", begann Tschorossow, „hat
seit altersher die Menschen angelockt, aber irgendwelche
unbegreiflichen" Kräfte töteten häufig die Besucher des
Sees. Diesen verhängnisvollen Einfluß habe ich am eige-
nen Leibe gespürt. Aber davon später! Es ist interessant,
daß der See an warmen Sommertagen am schönsten ist,
aber gerade an solchen Tagen macht sich seine vernichtende
Kraft am stärksten bemerkbar. Sobald ein Mensch die
blutroten Feuer in den Felsen oder die blaugrünen, ge-
spenstischen Säulen sah, begann er unter merkwürdigen
Empfindungen zu leiden." Die ihn umgebenden Schnee-
gipfel schienen mit ungeheurer Kraft auf seinen Kopf zu
drücken. Die Lichtstrahlen tanzten vor den Augen, und er
wurde zu dem kegelförmigen Berg gezogen, wo die blau-
grünen Berggeister flimmerten, die um eine grünlich
leuchtende Wolke tanzten. Sobald aber ein Mensch bis
zu dieser Stelle vorgedrungen war, verschwand alles, und
nur die kahlen Felsen standen wie finstere Wächter
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