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Das weisse Horn

Das weisse Horn

Titel: Das weisse Horn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Antonowitsch Jefremov
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In der Mitte des Tals lag wie ein ebener grüner
    Teppich ein moosiger Sumpf ohne ein einziges Bäumchen.
    An seinen Rändern aber erhoben sich hohe Zirbelkiefern.
    An der einen Seite der Zweige beraubt, streckten diese
    Bäume mächtige Äste nach dem „See der Berggeister" aus.
    Niedrige, dunkle Wolken jagten über den Zirbelkiefern
    dahin, als eilten sie dem geheimnisvollen See zu.
    Der vierte See war klein und rund. Aus dem Bläulich-
    grauen, gekräuselten Wasser ragten spitze Steine. Dann
    gerieten wir in dichtes Zirbelknieholz, und nach weiteren
    zehn Minuten standen wir am Ufer des „Sees der Berg-
    geister". Aschgraue Trauerfarbe .lag auf dem Wasser und
    auf den Schneehängen der Gebirgskette. Trotzdem er-
    kannte ich sofort den „Tempel der Berggeister", der meine
    Phantasie einige Jahre zuvor so stark angeregt hatte.
    Bis zu den stählern schillernden Felsen am Fuß des Kegel-
    berges zu gelangen, war nicht leicht. Aber alle Mühsale
    vergaßen wir augenblicklich, als der Geologenhammer mit
    hellem Klingen das erste schwere Stück Zinnober von der
    Felswand schlug. Etwas weiter von uns entfernt, senkten
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    sich die Felsen in abschüssigen Stufen zu einer kleinen
    Mulde, über der leichte Wölkchen aufstiegen. Die Mulde
    war angefüllt mit trübem, heißem Wasser, ringsum spran-
    gen aus tiefen Spalten heiße Quellen und hüllten ihren
    Rand in Nebel.
    Ich gab Krassulin den Auftrag, eine ungefähre Skizze des
    erzhaltigen Abschnitts anzufertigen, und drang dann mit
    einem Arbeiter durch den Nebelschleier zum Fuß des
    Berges vor.
    „Was ist dort?" fragte mich plötzlich der Mann.
    Ich blickte in die angegebene Richtung. Halb verborgen
    hinter Steinen schimmerte in mattem, unheilverkünden-
    dem Glanz ein kleiner Quecksilbersee — mein Wirklich-
    keit gewordenes Phantasiegebilde. Die Oberfläche des
    kleinen Sees war gewölbt. In unbeschreiblicher Erregung
    beugte ich mich über seine elastische Oberfläche und dachte
    — die Hand tief in die fortgleitende, nicht zu greifende
    Flüssigkeit tauchend — an einige tausend Tonnen flüssigen
    Metalls, mein Geschenk an die Heimat.
    Krassulin, der auf meinen Ruf herbeikam, war stumm vor
    Freude. Doch mußte ich die Begeisterung zügeln und meine
    Begleiter zur Eile antreiben. Schon wurde der Kopf schwer,
    und der Mund brannte — das waren die gefährlichen An-
    zeichen einer beginnenden Vergiftung.
    Ich photographierte die wichtigsten Stellen. Ein Arbeiter
    füllte eine Flasche mit Quecksilber. Krassulin und der
    andere Arbeiter nahmen eilig Vermessungen an dem erz-
    haltigen Gestein und dem See vor. Alles wickelte sich mit
    Blitzesschnelle ab, trotzdem gingen wir auf dem Rückweg

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    langsam und schleppend und mußten gegen die auf-
    steigende Bedrückung und Angst ankämpfen. Während wir
    mühselig um den See zogen, teilten sich die Wolken, und
    vor unseren Äugen enthüllte sich der funkelnde, kantige
    Gipfel. Schräge Sonnenstrahlen brachen durch das Tor der
    fernen Schlucht. Das „Tal der Berggeister" war in blendend
    helles Licht getaucht. Ich wandte mich um und sah an der
    Stelle, die wir erst vor wenigen Augenblicken verlassen
    hatten, nebelhafte, dunkelblau-grüne Säulen aufsteigen:
    die sagenhaften Berggeister der Oiroten. Sie glichen dro-
    henden, menschlichen Gestalten, die uns scheinbar über-
    wältigen und mit ihrem giftigen Atem töten wollten.
    Nur wenige Augenblicke starrten wir entsetzt und gebannt
    auf diese gespenstische Erscheinung — dann rissen wir uns
    los und flohen aus dem Tal. Mit letzter Kraft erreichten
    wir unsere Pferde.
    Noch am selben Tag stiegen wir zum dritten See hinab. In
    der beginnenden Dämmerung reckten sich uns drohend die
    Zweige der Zirbelkiefern entgegen, als wollten sie, uns
    aufhalten. In der Nacht fühlten wir uns nicht ganz wohl,
    aber im allgemeinen lief alles gut ab.
    Ich brauche nicht mehr viel hinzuzufügen. Der Zaubersee
    liefert heute der Sowjetunion eine solche Menge Queck-
    silber, daß alle Anforderungen unserer vielseitigen Indu-
    strie befriedigt werden, und die Berggeister können heute
    den Menschen nicht mehr schaden.
    Ich aber bewahre für mein ganzes Leben die dankbare
    Erinnerung an die hohe Kunst des Malers Tschorossow,
    des furchtlosen Suchers nach der Seele der Berge.
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    Copyright 1952 by Verlag Kultur und Fortschritt GmbH., Berlin.
    Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Lizenz-Nr. 3.
    Einband und Textillustrationen:
    Verlagsentwurf — Rudi Lehmann.
    Satz und Druck:

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