Das weisse Horn
Speichel-
fluß, Erbrechen. Aber Dämpfe? Da sehe ich gleich mal nach.
Treten Sie bitte näher."
„Nein, danke, ich habe gar keine Zeit. Sehen Sie doch bitte
schnell mal nach, lieber Pawel Nikolajewitsch!"
Der alte Mann ging in sein Arbeitszimmer und kehrte
wenig später mit einem aufgeschlagenen Buch in den Hän-
den zurück.
„Hier, Quecksilberdämpfe: Senkung des Blutdrucks, heftige
seelische Erregung, beschleunigte, unregelmäßige Atmung
und schließlich Tod durch Herzlähmung."
„Das ist ja großartig!" platzte ich heraus.
„Was ist großartig, solch ein Tod?"
Ich lachte nur, vergnügt wie ein Lausbub über die Ver-
blüffung des Doktors, und lief die Treppe hinunter. Jetzt
wußte ich, daß mein Gedankengang unbedingt richtig war.
Zu Hause angekommen, rief ich sofort den Chef meiner
Hauptverwaltung an und teilte ihm mit, daß ich im
Interesse unserer Arbeit unverzüglich in den Altai reisen
müßte. Ich bat, mir Krassulin mitzugeben, einen jungen
Diplomingenieur, dessen kräftige Konstitution und kluger
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Kopf mir bei meinem immer noch kränklichen Zustand sehr
zustatten kommen würden.
Mitte Mai konnte man den Aufstieg zum See schon wagen.
Um diese Zeit machte ich mich von der Siedlung Inja im
Tschuisker-Gebirge aus auf den Weg, zusammen mit'Kras-
sulin und zwei erfahrenen Taiga-Arbeiterh.
Ich erinnerte mich aller Worte des verstorbenen Künstlers
über den bevorstehenden Weg, und in meiner Seitentasche
steckte das alte, zerfetzte Notizbuch mit der von Tscho-
rossow angegebenen Marschroute.
Meine kleine Abteilung schlug abends neben einem aus-
getrockneten Flüßchen am Ausgang des Tals das Zelt auf.
Angesichts der verdorrten, gabelähnlichen Lärche überkam
mich große Unruhe. Morgen fiel die Entscheidung! Würde
sich meine Vermutung bestätigen, oder hatte ich mir noch
etwas Unglaublicheres ausgedacht als die Oiroten mit
ihren Berggeistern?
Auch Krassulin war aufgeregt, als er sich neben mich auf
den Erdhügel setzte, von dem aus ich die alte Lärche
betrachtete.
„Wladimir Jewgenjewitsch", begann er leise, „wissen Sie
noch? Sie versprachen, von dem Ziel unserer Reise zu er-
zählen, sobald wir in den Bergen angelangt wären."
„Ich hoffe, morgen ein großes Vorkommen — ja, viel-
leicht sogar reines Quecksilber — zu entdecken", ant-
wortete ich ihm bereitwillig. „Morgen werden wir sehen,
ob ich mit meinen Vermutungen recht habe oder nicht.
Sie wissen, daß Quecksilber gewöhnlich nur in geringer
Konzentration gefunden wird. Bisher ist in der ganzen
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Welt nur ein einziges großes Vorkommen mit reichem
Quecksilbergehalt bekannt, das i s t . . . "
„Almadena in Spanien", fiel Krassulin ein.
„Ja, schon seit vielen Jahrhunderten versorgt Almadena
die halbe Welt mit Quecksilber. Einmal hat man dort einen
winzigen See aus reinem,Quecksilber gefunden. Also, ich
bin überzeugt, am ,See der Berggeister' etwas Ähnliches
zu entdecken. Daß hier ganze Felsen durch und durch aus
Zinnober bestehen, davon bin ich überzeugt. Wenn nur..."
„Aber Wladimir Jewgenjewitsch! Wenn wir ein solches
Vorkommen entdecken, so bedeutet das eine Umwälzung
in der ganzen Quecksilberwirtschaft!"
„Natürlich, mein Lieber! Quecksilber ist sehr wichtig für
die Elektrotechnik und die Medizin. Aber jetzt schlafen,
schlafen! Morgen wollen wir vor Tagesanbruch aufstehen.
Es scheint, wir werden trübes Wetter haben, und das
brauchen wir auch."
,,Warum kommt es so sehr auf trübes Wetter an?" fragte
Krassulin.
„Weil ich nicht euch und mich selbst vergiften will. Mit
Quecksilberdämpfen ist nicht zu spaßen! Das beweist schon
der Umstand, daß dieses Vorkommen Hunderte von Jah-
ren unentdeckt blieb, eben wegen der tödlichen Eigenschaft
der Quecksilberdämpfe. Morgen werden wir uns mit den
Geistern des Sees messen und dann wird sich zeigen,
w e r . . . "
Rosafarbene Nebelwölkchen umgaben die Berge. Im Tal
war es dunkel geworden, nur die spitzen Gipfel derSchnee-
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berge leuchteten noch lange in den für uns nicht mehr sicht-
baren Sonnenstrahlen, dann erloschen auch sie. Ein asch-
grauer Schleier verbarg die Berge. Ich saß immer noch
rauchend am Lagerfeuer, bis ich endlich meine Unruhe
bezwang und mich schlafen legte.
An alle Ereignisse des folgenden Tages habe ich sonder-
barerweise nur abgerissene Erinnerungen.
Deutlich prägte sich meinem Gedächtnis die ausgedehnte,
ganz flache Talsohle zwischen dem dritten und vierten See
ein.
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