Das weisse Kaenguruh
seines Elternhauses, aber dank seiner rostigen Leidenschaft mit einer Luke zum Dach, durch die er bequem in seine selbstgeschaffene Welt aussteigen konnte, wenn ihm die Realität einmal zu langweilig wurde. Und so etwas kann durchaus einmal vorkommen, wenn man in einer Kleinstadt wie Troisdorf aufwächst.
Der Marley Bob.
Dem Euro war nicht entgangen, daß Billy rauchte wie ein griechischer Busfahrer. Das war nicht mehr Kette, das war schon Kardan. Er selber rauchte zwar auch, aber das hier ging für seinen Geschmack doch ein bißchen weit. Er wußte nur nicht, warum. Und so fragte er nach.
»Jetzt, wo wir uns schon eine ganze halbe Stunde lang kennen, wie wäre es da mal mit ein paar offenen Worten, so von Mann zu Mann?«
Billy griff sofort zur nächsten Zigarette. Wenn mit offenen Worten gedroht wurde, konnte man nicht vorsichtig genug sein. Obwohl sein Rachen dem Angriff der Caporals mittlerweile kaum mehr stand hielt. Mehr als eine Packung in weniger als einem halben Tag hatte er bereits weggequarzt, und langsam forderte der Wahnsinn seinen Preis. Vom Rachen abwärts brannte es seine Luftröhre hinunter, als wäre sie wund wie der Popo eines Babys, das seit einem Jahr dieselbe Windel anhat. »Aber so ist das eben«, dachte er sich. »Wenn man verlassen wird, tut es halt weh. Wo auch immer.« Daher wartete er einen kurzen Moment ab, bis der erste Schub der 1,2 Milligramm Nikotin auf den Schmerz konterte und blies danach ernüchtert den Rauch gegen die Windschutzscheibe.
»Klingt nicht gerade so, als hätte ich darauf gewartet«, sagte er dann.
»Ich leg trotzdem mal los. Ist ja auch offensichtlich. Duhast ein Problem beim Pissen, du hast ein Suchtproblem und du verbringst dein Leben damit, lauter Schrott zu sammeln, den du in Billy-Regale packst und deswegen auch so heißt. Außerdem siehst du aus wie einer, der auf der Flucht ist. Also, wenn du mich fragst – das alles zusammengenommen, ja –, dann schaut es nicht gerade gut für dich aus, im Moment, mein Lieber. Und zwar gar nicht gut.«
»Danke«, sagte Billy. »Wäre nicht nötig gewesen.«
»Nix für ungut. Andere legen sich wegen so einer Analyse jahrelang auf die Couch.«
Nach diesem Satz schaute Billy den Euro an. In der Hoffnung, daß Blicke vielleicht doch töten können. Sie taten es nicht. Im Gegenteil, wie es schien. Der Euro grinste, statt zu sterben, und er grinste breiter denn je.
»Vielleicht erzählst du mir einfach, was mit dir los ist«, machte er weiter. »Man verarbeitet ja auch, indem man drüber redet.«
»Ist das so?« fragte Billy zurück.
»Klar. Und jetzt komm. Gib dir einen Ruck. Mir kannst du es doch sagen.«
Spätestens jetzt mußte Billy lachen. Laut und innerlich. Mir kannst du es doch sagen. Na bravo! Wenn es auf dieser Welt eine Sorte Mensch gab, der man unter gar keinen Umständen sagen durfte, was gerade mit einem los war, dann waren es diese Mir-kannst-du-es-doch-sagen-Typen. Das waren entweder Menschen, die von ihren eigenen Niederlagen ablenkten, indem sie lieber andere Menschen schlimme Geschichten erzählen ließen, anstatt die ganze Zeit die eigene im Ohr zu haben. Oder – ebenso bitter – es handelte sich um stinknormale Psychopathen, die ihre einzige Überlebensberechtigung daraus ableiteten, daß sie von ihrer Umwelt als extrem gute Zuhörer und ach so großherzige Verstehercharaktere wahrgenommen wurden.
Der Euro gehörte zum Glück zu keiner dieser Gruppen, dawar sich Billy sicher. Er fühlte sich nicht an wie jemand, der ein Problem mit sich hatte, ein Arsch war oder beides. Aber selbst diese Erkenntnis half nichts. Mit »Mir kannst du es doch sagen« war man bei Billy raus. Sofort. Er mißtraute ganz einfach der Vertrauenswürdigkeit, die dieser Satz vorheuchelte. Weil er noch keinen getroffen hatte, der ihr im Anschluß auch gerecht wurde. Wem man was erzählen kann, dafür muß man ein Gespür haben. Dafür braucht man keine Versicherung. Man ist schließlich kein Idiot.
»Ich habe am Samstag eine Geschichte gehört«, sagte Billy. »Lust?«
»Deine fünf Minuten«, sagte der Euro.
»Dann paß jetzt mal gut auf«, sagte Billy und legte los. »Da ist ein Wald, ja? Und in dem Wald steht ein Baum. Und von dem Baum geht etwa auf Kopfhöhe ein dicker Ast ab. Und auf dem Ast ist ein Nest, in dem ein kleiner Babyvogel sitzt. Das Tragische ist: Der Babyvogel ist furchtbar schlecht drauf. Weil er so friert. Die Kälte ist nämlich noch einmal zurückgekehrt. Mitten in den Frühsommer. Und so sitzt der
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