Das Weltgeheimnis (German Edition)
ab. »Als ich so weit in meinem Traum gekommen war, erhob sich ein Wind mit prasselndem Regen, störte meinen Schlaf und entzog mir den Schluss …«
Ein abruptes Ende. Es erweckt beinahe den Eindruck, als sei Kepler vor der Kühnheit der eigenen Gedanken zurückgeschreckt.
In seiner fiktiven Mondbiologie hat er sich dem Spiel der Phantasie hingegeben. In der Fiktion wagt er sich noch weiter vor als in seiner Neuen Astronomie : Der studierte Theologe skizziert hier einen radikal anti-anthropozentrischen Kosmos, der mit der Heiligen Schrift kaum noch in Einklang zu bringen ist. Gerade im letzten Teil seiner Schrift ist einiges von der Verlockung zu spüren, die gesetzten Grenzen zu überschreiten und sich als freier Denker zu behaupten.
Zu seiner Überraschung bekommt er schon wenige Monate später Rückendeckung aus Padua. Galilei liefert ihm scheinbar glänzende Indizien für seine Ansichten. Durch sein neues Instrument sieht der Italiener den Mond tatsächlich als erdähnlichen Himmelskörper mit Bergen und Tälern.
Ermutigt durch Galileis Mondbeobachtungen knüpfen in der Folgezeit zahlreiche Gelehrte an Keplers Traum vom Mond an. Die Schrift trägt maßgeblich dazu bei, dass die mögliche Existenz belebter Welten jenseits der Erde im Verlauf des 17. Jahrhunderts und im ganzen Zeitalter der Aufklärung zu einem beliebten Gesprächsstoff wird.
So legt der britische Geistliche Robert Burton 1621 eine wissenschaftliche Abhandlung zum bewohnten Universum vor und fragt sich, ob Kepler mit seiner Vermutung über Lebewesen auf anderen Himmelskörpern recht hat. »Bewohnen sie einen besseren Teil der Welt als wir? Sind sie die Herren der Welt, oder sind wir es?« Francis Godwin, der Bischof von Hereford, orientiert sich in seiner 1638 publizierten Erzählung The Man in the Moon an Keplers Traktat. Und noch Cyrano de Bergerac erweist sich mit seiner populären Reise zum Mond als Kenner der keplerschen Astronomie.
Kepler selbst bezieht sich in seiner Mondreise ausdrücklich auf antike Vorbilder, in erster Linie auf Plutarch und dessen Mondgesicht . Doch auch noch im 16. Jahrhundert ist der Mond ein beliebtes Ausflugsziel der Dichter gewesen. Herausragendes Beispiel ist der 1532 erschienene Renaissance-Bestseller Der rasende Roland . Galilei etwa kennt die Geschichte, in der Graf Astolf Rolands Verstand auf dem Mond wiederfinden möchte, in- und auswendig. Sie ist für alle Gebildeten Italiens eine Pflichtlektüre, die Figuren des Romans von Ludovico Ariosto sind auch am Hof in Prag bestens bekannt.
Bücher wie dieses sind mit Keplers Schrift allerdings kaum zu vergleichen. Sie changiert zwischen Traumdichtung, Expeditionsbericht und Astronomielehrbuch und enthält einige Charakteristika der erst wesentlich später aufkommenden Science-Fiction. Dem Mathematiker geht es in erster Linie darum, Denkbarrieren einzureißen. Die Absicht, die er mit seinem Traum verfolge, sei, »am Beispiel des Mondes für die Bewegung der Erde zu argumentieren und so dem allgemeinen Widerspruch bei den Menschen gegen diese Annahme entgegenzuwirken«, hält er in seinen umfangreichen Anmerkungen fest. Sie sind erheblich länger als der eigentliche Text. Keplers kurze Erzählung hat 223 Fußnoten!
Handschriftliche Kopien des Manuskripts kursieren nach 1609 in Deutschland, kurz darauf auch in England. Sie bringen Kepler und seine Familie in große Schwierigkeiten. In Tübingen sei sogar in den Barbierstuben darüber geschwatzt worden, so Kepler, verleumderische Redereien seien zu Gerüchten angeschwollen, von Unwissenheit und Aberglauben aufgeblasen worden. Es ist die Rahmenhandlung, die ihm in Zusammenhang mit einem langjährigen Hexenprozess gegen seine Mutter Katharina übel ausgelegt wird. Die Mutter ist offensichtlich das Vorbild für deren zentrale Figur: die Gestalt der Fiolxhilde, eine Magierin, die mit Kräutern handelt. Sie weiht ihren Sohn Duracoto – Kepler selbst – in geheime Künste und Zeremonien ein und beschwört so den Dämon erst herbei, der die ganze Reise zum Mond schildert.
Erst nach dem Hexenprozess, von 1621 an, versieht Kepler den Traum vom Mond mit Anmerkungen. Den Druck gibt er selbst noch in Auftrag, ehe er 1630 stirbt.
Seinen Lesern hinterlässt er die düsteren Zeilen: »Groß ist die Vorahnung des Todes bei einer tödlichen Wunde, bei Leerung des Giftbechers, aber nicht geringer schien sie mir bei der Veröffentlichung dieser Schrift.«
DAS NEUE UNIVERSUM
Galilei, der Augenmensch
Es sind erhabene Orte.
Weitere Kostenlose Bücher