Das Weltgeheimnis (German Edition)
Das großzügige Landhaus in Arcetri, von wo aus Galilei über Weinberge, Felder und Olivenhaine der toskanischen Hügellandschaft schaut, ist einer von ihnen. Oder die etwas näher an Florenz gelegene »Villa dell’Ombrellino«. Sie bietet dem Wissenschaftler einen unvergleichlichen Blick über das Arnotal und die roten Dächer der Stadt, mittendrin die alle Häuser überragende, imposante Kuppel des Florentiner Doms.
Die Villen, in denen Galilei sein letztes Lebensdrittel verbringt, beeindrucken durch ihre Panoramen. In seinen mittleren Lebensjahren trifft man den Forscher nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Stadtmauern an. Er pendelt hin und her. In Florenz etwa wohnt er in einem nicht näher bekannten Haus »mit hohem Terrassendach«, dem er allerdings den entlegenen Landsitz seines Freundes Filippo Salviati vorzieht. Und verlässt man die Toskana, um auf seinem Lebensweg bis nach Padua zurückzugehen, sieht man ihn auch hier der Universitätsstadt bei vielen Gelegenheiten den Rücken kehren. Wenn er keine Vorlesungen zu halten hat, zieht es ihn in die Lagune Venedigs.
Als schlecht bezahlter Mathematikprofessor muss sich Galilei in den ersten seiner Paduaner Jahre mit engen Räumen und fremdem Mobiliar begnügen. Kaum aber hat er seine erste Gehaltserhöhung bekommen und sich als Privatlehrer etabliert, mietet er in der Via dei Vignali einen ganzen Palazzo: ein zweigeschossiges Gebäude mit breiter Fensterfront, das die Nachbarhäuser heute überragt. Es ist geräumig genug, um hohe Herrschaften zu empfangen und ein Dutzend Studenten mit ihren Dienstboten unterzubringen. Der Hausherr selbst richtet sich ein Labor ein und nutzt seine Mußestunden dazu, im großen Garten hinter dem Haus eigenen Wein anzubauen. Das Grundstück grenzt an Park und Palais der Mäzenatenfamilie Cornaro; ein paar Schritte weiter, und man steht vor der Basilika des Heiligen Antonius von Padua.
Im Winter des Jahres 1609/10 verwandelt sich Galileis repräsentatives Wohnhaus in eine Sternwarte. Von seinem Palazzo aus beginnt der fünfundvierzigjährige Professor eine Weltinventur, die in der mehrere Tausend Jahre alten Geschichte der Astronomie einzigartig ist. Auf einmal wird aus dem Dozenten ein nächtlicher Beobachter, aus dem Bastler ein Entdecker und aus dem Fernrohr ein Instrument der Wissenschaft. Wohin auch immer er am Nachthimmel mit seinem Fernrohr schaut – das Universum zeigt ihm bisher ungeahnte Dimensionen.
Wo vorher dunkle Flecken waren, flimmert hinter Glas ein Meer von Sternen, »die die Anzahl der alten und bekannten um mehr als das Zehnfache übersteigen«. Im Siebengestirn der Plejaden zum Beispiel sind auf engstem Raum »mehr als vierzig weitere, unsichtbare gelegen«. Ähnlich ist es bei anderen Sterngruppen. »Zuerst hatte ich mir vorgenommen, das ganze Sternbild des Orion zu zeichnen«, erinnert sich Galilei. »Aber überwältigt von der ungeheuren Menge der Sterne und aus Mangel an Zeit verschob ich dieses Unterfangen auf eine andere Gelegenheit.«
Der Streit um die Zusammensetzung der Milchstraße, der die Philosophen seit so vielen Jahrhunderten gequält habe, könne nun getrost beigelegt werden: »Die Galaxis ist nämlich nichts anderes als eine Ansammlung zahlloser, haufenförmig angeordneter Sterne, denn auf welches ihrer Gebiete sich das Fernrohr auch richtet, bietet sich dem Auge unverzüglich eine gewaltige Menge von Sternen dar.«
Inmitten dieser unermesslichen Fülle nimmt Galilei bedeutende Unterschiede zwischen den Himmelskörpern wahr. Fixsterne und Planeten, die sich bis dahin gleichermaßen als winzige Lichtpunkte am Himmel gezeigt hatten, lassen sich jetzt mühelos auseinanderhalten. »Die Planeten nämlich bieten ihre kleinen Kugeln vollkommen rund und wie mit dem Zirkel gezogen dar, und wie kleine, überall vom Licht umhüllte Monde wirken sie kreisförmig.« Die Fixsterne dagegen seien nicht rund, sondern nach wie vor funkelnde Pünktchen und »von gleicher Gestalt wie mit dem bloßen Auge gesehen«.
All dies erfasst Galilei mehr oder weniger auf den ersten Blick. Jeder andere Forscher, dem man sein Teleskop in die Hände gegeben hätte, hätte wohl dasselbe gesehen. Wie schon bei der Konstruktion des Teleskops bringt ihn das neue Instrument schon wieder in eine schwer überschaubare Konkurrenzsituation: Er kann sich nicht sicher sein, ob er der Erste ist, der diese Beobachtungen macht. Fernrohre sind bereits seit mehr als einem Jahr im Umlauf. Und seit er selbst eines seiner
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