Das Weltgeheimnis (German Edition)
Juli 1969 ist er wie im Rausch. Diesmal hat er zwei Hasselblad-Kameras an Bord und schießt ein Foto nach dem anderen. Während die Fernsehzuschauer nur eine staubige Gesteinswüste zu sehen bekommen, macht Collins phantastische Bilder vom Erdaufgang und -untergang. Diese Aufnahmen sind zum Inbegriff der einzigartigen Schönheit und auch der Zerbrechlichkeit unseres Planeten geworden. Sie haben ihre Wirkung bis heute nicht verloren.
Andere Apollo-Astronauten, die nach Collins zum Mond aufgebrochen sind, haben unter einem ähnlichen Eindruck gestanden wie er. »Jetzt weiß ich, warum ich hier bin. Nicht um den Mond genauer zu betrachten, sondern um zurückzuschauen. Auf unser Zuhause, die Erde!«, hielt etwa Alfred Worden fest, der 1971 an der Apollo-15-Mission teilnahm und wie Collins im Mondorbit blieb.
Es ist bezeichnend für Keplers Vorstellungskraft, dass er eine ebensolche Rückschau zum magischen Augenblick seiner fiktiven Mondreise macht. Mitten in seiner Erzählung geht sein Blick zurück zur Volva, zur Erde.
»Das großartigste Schauspiel … ist indessen der Anblick ihrer Volva, die sie als Ersatz unseres Mondes besitzen.« Sie ist riesig. Wie Kepler ermittelt hat, nimmt sie vom Mond aus besehen am Himmel eine fünfzehn Mal größere Fläche ein als unser Trabant. Und sie bewegt sich nicht, sondern steht fest, »wie mit einem Nagel an den Himmel geheftet«.
Je nachdem, wo man sich auf dem Mond befindet, sieht man den Globus genau in der Himmelsmitte oder – wenn man sich auf der erdabgewandten Hemisphäre aufhält – überhaupt nicht. »Für die aber, denen die Volva immer am Horizont steht, hat sie die Gestalt einer in der Ferne glühenden Kuppe.«
Vor seinem geistigen Auge sieht Kepler bereits 1609 die glühende Kuppe am Horizont aufgehen, die Collins 360 Jahre später mit seiner Kamera aufnehmen wird. Er nimmt aber noch andere Dinge wahr. Denn die Erde zeigt sich nicht immer in gleicher Gestalt. In den Augen des fernen Betrachters nimmt sie zu und wieder ab, hat wie der Mond mal die Form einer Sichel, dann einer Kugel, »aus gleicher Ursache, nämlich des Beschienen- und Nichtbeschienenwerdens von der Sonne«.
Kepler nimmt sich viel Raum, um das Zu- und Abnehmen des himmlischen Globus zu erläutern, ehe er auf eine weitere Eigenheit der Erdkugel zu sprechen kommt. Sie dreht sich »an ihrem Platz um sich selbst und zeigt der Reihe nach einen wunderbaren Wechsel von Flecken, und zwar so, dass diese von Osten nach Westen gleichmäßig vorüberziehen«. Da die Erde so regelmäßig rotiert wie ein Uhrwerk, könnten die Mondbewohner ihre Zeit anhand der jeweils sichtbaren Fleckenkonstellation einteilen. Das fällt ihnen nicht schwer. Während wir von der Erde aus nur ein vages Mondgesicht erkennen, bietet der fünfzehn Mal größere Erdball den Mondbewohnern einprägsame Bilder. Um den Globus aus der Perspektive des Mondes zu beschreiben, greift Kepler auf die geografischen Kenntnisse seiner Zeit zurück. Er teilt die Erdkugel zunächst in zwei Hemisphären ein: die alte Welt, bestehend aus Europa, Asien und Afrika, und ihr gegenüber, durch einen Ozean getrennt, die neu entdeckten Kontinente Nord- und Südamerika.
In der alten Welt erkennt er einen menschlichen Kopf (Afrika), »dem sich ein Mädchen in langem Gewande zum Kusse hinneigt« (Europa mit Spanien als Kopf und Asien als Gewand), »mit dem nach rückwärts lang ausgestreckten Arm eine heranspringende Katze anlockend« (der Arm ist Großbritannien, die Katze Skandinavien). Für Südamerika findet er das Bild einer Glocke mit dem südlichsten Zipfel, Patagonien, als Klöppel. Diese Glocke ist über einen Strick (Mittelamerika) mit dem nördlichen Kontinent verbunden.
Der überzeugte Kopernikaner
Ohne die jüngsten Entdeckungen der Seefahrer wären diese Figuren und Bilder undenkbar. Während Kepler seinen Traum vom Mond schreibt, segelt der Brite Henry Hudson gerade an der Insel Manhattan vorbei und dringt über den später nach ihm benannten Hudson River mehr als zweihundert Kilometer ins Landesinnere nördlich von New York vor. Von Nordamerika und Grönland bis hinunter nach Patagonien und zu den Falklandinseln haben Hudson und andere Seefahrer die Welt kartografiert.
Die mehrfach umrundete, nahezu bis in den letzten Winkel vermessene Erde ist der sichere Boden, von dem aus Kepler in den Weltraum vorstoßen kann. Die Expeditionsberichte aus den neu entdeckten Ländern oder Gabriel Rollenhagens Vier Bücher wunderbarlicher indianischer
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