Das Weltgeheimnis (German Edition)
Instrumente in Venedig vorgestellt hat, sind Monate vergangen. Genügend Zeit, um das Rohr mit den beiden Linsen nachzubauen, genügend Zeit für Entdeckungen am Nachthimmel.
Als Galileo Galilei im März 1610 in aller Eile seinen Sternenboten veröffentlicht, beginnt er die Schrift dennoch selbstbewusst mit den Worten: »Großes fürwahr unterbreite ich … den einzelnen Naturforschern zur Anschauung und Betrachtung. Großes, so sage ich, zum einen wegen der Erhabenheit des Gegenstandes selbst, zum anderen wegen der bislang unerhörten Neuheit und schließlich wegen des Instruments, durch dessen Hilfe es sich unseren Sinnen offenbart.«
Er erhebt diesen Anspruch zu Recht, denn er ist nicht nur ein erfindungsreicher Instrumentenbauer. Sein eigentliches Hauptwerkzeug, das Auge, sieht zunächst mehr als das seiner Konkurrenten.
Unter anderem hat Galilei herausgefunden, dass der Mond »nicht glatt, gleichmäßig und von vollkommener Kugelgestalt ist, wie eine große Schar von Philosophen von ihm und den anderen Himmelskörpern glaubte, sondern ungleich, rau, mit vielen Vertiefungen und Erhebungen, nicht anders als das Antlitz der durch Bergketten und tiefe Täler allerorts unterschiedlich gestalteten Erde«.
Das Mondgesicht
Die Spekulationen darüber, dass der Mond keine perfekte Kugel, sondern der Erde ähnlich sein könnte, sind Jahrtausende alt. Schon Plutarch hat in seinem Mondgesicht die dunklen Bereiche des Mondes für Meere und die hellen Gegenden für Kontinente erklärt. Dieser antike Text scheint auf Galilei einen ähnlich großen Eindruck gemacht zu haben wie auf Kepler. Beide besitzen dieselbe Plutarch-Übersetzung.
Durch das Fernrohr sieht er jetzt vergrößerte Ausschnitte aus dem vertrauten Mondgesicht, eine gefleckte Mondscheibe mit hellen und dunklen Bereichen. Viele der Flecken sind kreisrund und in manchen Regionen so zahlreich und auffällig wie »die Augen in einem Pfauenschwanz«. Dazwischen nimmt Galilei helle Lichtreflexe wahr, die aber ganz lapidar durch Abbildungsfehler der Glaslinsen zustande kommen können. Was hat all dies zu bedeuten?
Das fragt sich auch der Brite Thomas Harriot, der den Mond schon ein halbes Jahr vor Galilei durch ein Fernrohr betrachtet und vermutlich als erster Wissenschaftler in dieser Weise von dem neuen Gerät Gebrauch gemacht hat. Sein Teleskop mit sechsfacher Vergrößerung ist zwar nicht ganz so leistungsfähig wie Galileis Instrument, trotzdem hat der Astronom bereits vor seinem italienischen Kollegen eine vielversprechende Fährte aufgenommen.
Wie aus Harriots erhalten gebliebenen Aufzeichnungen hervorgeht, skizziert er den Mond während seiner Beobachtungen im Juli 1609 grob auf einem Blatt Papier und wundert sich über dessen Fleckigkeit. Zwischen der sonnenbeschienenen Mondhälfte und der dunklen Seite zeichnet er eine Trennlinie ein, den Terminator. Harriot malt diese Grenzlinie zwischen Licht und Schatten als gebogene Linie. Es ist keine ebenmäßige Kurve, wie man es bei einer vollkommenen Mondkugel erwarten würde, sondern sie ist gezackt. Harriot stellt sie so dar, kommentiert den seltsamen Befund aber nicht.
Galileis berühmte Tuschzeichnungen des Mondes in seinen verschiedenen Phasen, dazwischen die Skizze eines typischen Mondkraters. [4]
Galilei nimmt die Zacken im Terminator ernst. Er deutet seine Auswüchse und Lichtreflexe als Gebirge und Vertiefungen, sieht in ihnen die Folge eines Lichtspiels, das entsteht, wenn die Sonne die Gipfel der Mondgebirge bereits anstrahlt, während die Täler noch im Schatten liegen.
Ein Jahr später, nachdem er Galileis Sternenboten gelesen hat, sieht Harriot dasselbe, wenn auch mit einem etwas besseren Fernrohr als im Jahr zuvor. In eine Skizze des Mondes trägt er nun ebenfalls die Mondgebirge ein. Harriot zeichnet außerdem eine ausgesprochen detaillierte, aber nicht genau datierbare Mondkarte. Nichts davon veröffentlicht er. Bis heute ist ungeklärt, ob ihm erst Galilei die Augen geöffnet hat oder ob der Brite seine teleskopischen Entdeckungen – ähnlich wie im Fall seiner mechanischen Experimente – vielleicht doch parallel zu Galilei gemacht hat.
Die Schwierigkeiten, vor denen beide Forscher stehen, beschreibt der Brite Robert Hooke 1665 eindrucksvoll am Beispiel eines anderen Vergrößerungsinstruments, des Mikroskops, das nach seiner Erfindung noch fünfzig Jahre auf seinen großen Auftritt warten muss. Hooke schaut mit seiner Apparatur in einen bis dahin unerforschten Mikrokosmos hinein. Er
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