Das Weltgeheimnis (German Edition)
Reysen verleihen seiner Phantasie jene Flügel, mit denen sie sich zu möglichen Welten jenseits der Erde aufschwingt.
Der Mond ist ihr nächstgelegener Rastplatz. Für Kepler ist der Trabant ein willkommener Ort, noch einmal auf andere Weise über seine Neue Astronomie zu reflektieren und die Bedenken gegen den Kopernikanismus auszuhebeln. Von hier aus lässt sich der Globus als ganzer begreifen.
Wie später für Collins wird die Reise zum Mond für Kepler zu einer Entdeckung der Erde. Während der Apollo-Astronaut im Moment der Ergriffenheit seine Kamera nimmt, um den überwältigenden Eindruck einzufangen, bietet Kepler seine geballte Sachkenntnis auf. Sein tief gehendes mathematisches Verständnis gepaart mit seinem astronomischen und geografischen Wissen erlaubt es ihm, einen neuen Standort im Kosmos einzunehmen und zu berechnen, welche Anblicke sich einem Beobachter von dort aus darbieten.
Geschickt dreht und wendet er den Globus, beobachtet die Erde in ihren verschiedenen Phasen und malt sich die eigentümlichen Erd- und Sonnenfinsternisse aus, die die Mondbewohner genießen. Kepler meint es ernst mit der kopernikanischen Idee. Er setzt das Spiel aus Projektion und Rückprojektion ein, um die vertraute Sichtweise zu relativieren und Alternativen zum geozentrischen Weltbild aufzuzeigen.
Auf verführerische Weise schmückt Kepler im Traum das mit Bildern aus, was die neuen, mathematisch geprägten Naturwissenschaften besonders kennzeichnet: dem Augenschein zu misstrauen, sich selbst und den eigenen Standpunkt aus einem gewissen Abstand zu betrachten, das Bezugssystem zu wechseln, um ein realistischeres Bild zu gewinnen. Es ist diese Freiheit des Umdenkens, die die Mathematik zu einem innovativen Instrument der Naturwissenschaften macht.
Sie eröffnet neue Blickwinkel auf ein und dasselbe Problem. Oft haben Mathematiker Lösungen parat, die gegen die Intuition sprechen. Wer etwa möglichst schnell von A nach B kommen möchte, für den kann es sich trotzdem lohnen, einen Umweg zu machen, wenn auf diese Weise zum Beispiel eine gut ausgebaute Straße zu erreichen ist.
Auch für einen Astronomen, der die Positionen der Planeten auf möglichst einfache Weise vorausberechnen möchte, kann sich ein Umweg lohnen: ein Wechsel der Perspektive. So entwirrt sich von der Sonne aus gesehen das Zusammenspiel der Planeten. Was vom irdischen Standpunkt aus äußerst komplex erscheint, vereinfacht sich, wenn man die Sonne ins Zentrum des Geschehens rückt. Und dafür gibt es auch einen physikalischen Grund, wie Kepler richtig vermutet: Eine unvergleichlich starke Anziehungskraft der Sonne hält die Planeten in ihrem Bann. Diese Erkenntnis macht ihn zum Begründer der modernen Himmelsphysik.
Belebte Welten
Erst im knappen Schlussteil seines Traums rückt endlich auch der Mond als solcher in sein Blickfeld. Jetzt erst flackert kurz die Imagination des Mondutopisten auf.
Wenn Kepler den europäischen Kontinent als Mädchen im langen Gewand beschreibt, hat er berühmteVorbilder in Kartenzeichnungen, wie sie vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert üblich waren. [3]
»Obgleich nun ganz Levania nur ungefähr 1400 deutsche Meilen im Umfang hat, das heißt, nur den vierten Teil unserer Erde, so hat es doch sehr hohe Berge, sehr tiefe und steile Täler.« Stellenweise sei die Landschaft ganz porös, von Höhlen und Löchern durchbohrt.
Nicht nur die Gebirge, sondern auch das, was Levania hervorbringe oder was darauf umherschreite, sei ungeheuer groß, schließt Kepler aus der geringeren Anziehungskraft der kleinen Mondkugel. »Das Wachstum geht sehr schnell vor sich. Alles hat nur ein kurzes Leben, weil es sich zu einer so ungeheuren Körpermasse entwickelt.« Einige Mondgeschöpfe hätten Beine, die länger seien als die unserer Kamele, teils trügen sie Flügel. Im Allgemeinen herrsche jedoch die schlangenartige Gestalt vor.
»Die meisten sind Taucher, alle sind von Natur aus sehr langsam atmende Geschöpfe, können also ihr Leben tief am Grunde des Wassers zubringen.« Dabei wüssten sie sich wohl mit Tauchgeräten zu helfen, imaginiert Kepler, und bei längeren Wanderungen oder wenn sie sich vor Sonne oder Kälte verkriechen müssten, benutzten sie Kühlsysteme.
Der Leser erfährt noch, dass auf der der Erde zugewandten Seite des Mondes Wolken und Regen vorherrschen, die die Mondbewohner vor übermäßiger Hitze schützen und sich manchmal über die ganze Hemisphäre erstrecken. Dann bricht die Erzählung überraschend
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