Das Weltgeheimnis (German Edition)
tatsächlich mit ihrem Mann zurückkehrt und Johannes die lebensgefährliche Krankheit überstanden hat, zieht die Familie ins benachbarte Leonberg um und kauft ein Haus am Marktplatz. Heinrich Kepler hält es aber auch hier nicht lange aus. Schon im Jahr darauf mischt er sich wieder unter die Soldaten des niederländischen Kriegs, der noch ewig dauern und dessen Ende selbst sein Sohn Johannes nicht mehr erleben wird.
Diesmal macht Heinrich in der Fremde von sich reden: Er entkommt in dem wilden Söldnerhaufen 1577 nur knapp dem Galgen. Johannes Kepler bezeichnet den Vater später als »einen lasterhaften, schroffen und händelsüchtigen Menschen«. Doch er entschuldigt dessen üble Seiten mit der Konstellation der Gestirne zum Zeitpunkt der Geburt: Der »Saturn im Gedrittschein zum Mars« habe einen Soldaten aus ihm gemacht.
Der Vater treibt die Familie in den Ruin. Wieder zurück in Leonberg, verliert er sein Vermögen durch eine Bürgschaft, ein explodierendes Pulverhorn entstellt ihm das Gesicht. Schließlich pachtet er den »Gasthof zur Sonne« in Ellmendingen, und die Familie zieht erneut um. Bald darauf ist sie aber schon wieder zurück in Leonberg. Und um es gleich vorwegzunehmen: Ein paar Jahre später meldet sich Heinrich Kepler abermals zum Kriegsdienst, aus dem er nicht mehr heimkehrt. Auch das wird der »Keplerin« später in ihrem Hexenprozess angelastet. Sie hätte ihren Mann »ohn zweiffenlich mit Unholdenwerkh« von zu Hause vertrieben, sodass dieser im Krieg erbärmlich habe sterben müssen.
Von da an steht Katharina Kepler nun alleine mit der Sorge für den zweijährigen Sohn Christoph und das drei Jahre ältere Töchterchen Margarethe da. Ihr zweitältester Sohn Heinrich, der unter epileptischen Anfällen leidet, lebt zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zu Hause. Er ist weggelaufen, nachdem er viel Prügel hat einstecken müssen und der Vater ihm gedroht hat, ihn zu verkaufen. Bettelnd und als Soldat schlägt er sich durch, wird ausgeraubt, verwundet und kehrt später zur Mutter zurück.
Was Hänschen lernt
Man kann sich nur darüber wundern, dass Johannes Kepler unter derartigen Umständen seinen Weg zu den Naturwissenschaften findet. Obschon die vielen Umzüge das Familienleben strapazieren, ist es für den ältesten Sohn ein Glück, dass seine Eltern in Leonberg Fuß zu fassen versuchen. Denn anders als in Weil gilt im protestantischen Württemberg die allgemeine Schulpflicht. Der württembergische Herzog hat sich in der »Großen Kirchenordnung« von 1559 sogar dazu verpflichtet, ständig zweihundert Stipendiaten bis zu ihrem Universitätsabschluss zu fördern.
Den größeren Zusammenhang, in dem solche Bildungsbestrebungen zu sehen sind, beschreibt der kaiserliche Rat Lazarus von Schwendi in einer 1574 verfassten Denkschrift: »Die Truckerey hat der Welt die Augen zum Guten und Bösen aufgethan, die Heimligkeit vieler Ding und sonderlich vill Missbräuche in Religionssachen entdeckt, welches alles den Leuten wieder zuzudecken und aus den Herzen zu bilden oder mit forcht und straff daraus zu zwingen nit möglich, und will sich die Welt nicht mehr durch Einfalt, Unwissenheit und allein durch eusserliche Disciplin und Ceremonien wie vor alten Zeiten führen, leiten und zwingen lassen, sondern in der Religion gründlicher und vollkommener Unterricht geführt und gelehrt werden wöllen.«
Humanismus und Buchdruck haben eine zuvor nicht gekannte Bildungsbegeisterung in Europa ausgelöst, Protestanten wie Katholiken gründen Universitäten und Schulen. In Württemberg wird das Schulsystem auf Anordnung des Herzogs »zur Ehre Gottes und zur Verwaltung des gemeinen Nutzens« ausgebaut. Überall im Land sucht man qualifizierten Nachwuchs, um Theologen auszubilden und weil man kluge Köpfe zur Bewältigung der wachsenden bürokratischen Aufgaben benötigt.
Johannes Kepler ist ein aufgewecktes Kind. Die Lehrer loben ihn seiner Begabung wegen, obschon er nach eigener Einschätzung »die schlechtesten Sitten unter seinesgleichen« besitzt. Um die ersten drei Klassen der Lateinschule abzuschließen, braucht er fünf Jahre, denn die Eltern schicken ihren Ältesten lieber aufs Feld statt in die Schule. Auch nach Beendigung der Lateinschule lassen ihn die Eltern erst einmal weiter ackern.
Als Jugendlicher notiert er, wie stark sein Widerwille gegen die körperliche Arbeit in seiner Kindheit gewesen sei und dass er sich, um den Strapazen der Landarbeit zu entgehen, in der Schule von Beginn an
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