Das Weltgeheimnis (German Edition)
Pfarrer getauft und dann lutherisch erzogen? Keplers eigene Aussagen lassen eher Letzteres vermuten.
Hexen und dämonische Wesen
Johannes, kürzer: Hans. Im 16. Jahrhundert heißt etwa jeder dritte Deutsche so. Der Nachname liest sich mal Kepler, dann Khepler, Kepner, Käppeler oder Köpler. Im Katalog der Frankfurter Buchmesse taucht er erstmals 1597 auf: Repleus heißt es dort anstelle von Keplerus. Und in Galileis Korrespondenz ist auch schon mal vom »Signor Glepero« die Rede, was wohl ebenfalls der Beliebigkeit der damaligen Rechtschreibung geschuldet ist.
Johannes Kepler ist der älteste Sohn von Katharina und Heinrich Kepler, die im Mai 1571 geheiratet haben. Am 27. Dezember desselben Jahres wird der Junge geboren, angeblich als Siebenmonatskind. Dazu passt seine eher schwache körperliche Konstitution, die ihm ein Leben lang zu schaffen machen wird. Er bekommt häufig Fieberanfälle und klagt über Kopfschmerzen. Außerdem ist er von Geburt an kurzsichtig, sieht ferne Objekte manchmal doppelt und dreifach.
Seine Sehschwäche prädestiniert ihn nicht gerade für den Beruf des Astronomen. Aber Johannes Kepler macht aus der Not eine Tugend: Als erster Forscher beschreibt er die Entstehung des Bildes auf der Netzhaut des menschlichen Auges richtig und deckt die Ursachen der Kurzsichtigkeit auf. In der Astronomie dagegen befasst er sich weitgehend mit theoretischen Fragen und nimmt bei gelegentlichen Beobachtungen Brillengläser oder Apparaturen wie die Camera obscura zu Hilfe.
Äußerlich ist Johannes der Mutter ähnlicher als dem Vater. Rückblickend beschreibt er sie als »klein, mager, dunkelfarbig« und charakterisiert sie als »schwatzhaft und streitsüchtig« – eine nicht gerade schmeichelhafte Personenbeschreibung, die freilich nicht für die Öffentlichkeit gedacht, sondern seinen privaten Aufzeichnungen für ein Familienhoroskop entnommen ist.
Katharina stammt aus Eltingen bei Leonberg, wo ihr Vater, Melchior Guldenmann, ebenfalls Bürgermeister ist und ein Wirtshaus betreibt. Katharinas Mutter ist anscheinend frühzeitig schwer erkrankt. In dem späteren Hexenprozess gegen die »Keplerin« wird man Johannes’ Mutter anschuldigen, in der Obhut einer Hexe in Weil aufgewachsen zu sein, ihrer Base nämlich, die – wie sie selbst auch – Kräuter gesammelt und an magische Kräfte geglaubt habe und später verbrannt worden sei.
Dem Glauben an Hexen und Zauberer, die ihr Unwesen treiben, begegnet man in dieser Zeit über alle Gesellschaftsschichten und Glaubensgemeinschaften hinweg. Den geistigen Nährboden dafür kann man in der päpstlichen Hexenbulle, in Luthers Hexenwahn oder in Calvins Hinrichtungsexzessen finden, aber auch in weltlichen Texten, die die Überzeugung von der sündhaften Natur des Menschen manchmal ähnlich krass zum Ausdruck bringen.
Die massive Zunahme der Hexenverbrennungen an der Schwelle zum 17. Jahrhundert hat vermutlich nicht nur mit den Religionsfehden und den daraus entstehenden Streitereien um kleinste Unterschiede zu tun. »Die Hexerei kann als das paradigmatische Verbrechen der Kleinen Eiszeit betrachtet werden«, schreibt der Historiker Wolfgang Behringer. »Die Hexen wurden direkt für das Wetter verantwortlich gemacht, ebenso für fehlende Fruchtbarkeit der Felder, Kinderlosigkeit und natürlich für die ›unnatürlichen‹ Krankheiten, die im Gefolge der Krise auftraten.«
Johannes Kepler kommt in einer außergewöhnlichen Kälteperiode zur Welt, die eine der schlimmsten Hungerkatastrophen der deutschen Geschichte mit sich bringt. Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts fallen der »Kleinen Eiszeit« wiederholt große Teile der Ernte zum Opfer. Auf die schneidende Winterkälte folgen Überschwemmungen im Frühjahr und nasse Sommer, die Getreidepreise steigen um das Vier- bis Sechsfache. Große Handelsstädte wie Augsburg oder Nürnberg schaffen teuren Roggen und andere Lebensmittel aus der Ferne herbei und verteilen Brot an die Bevölkerung, während vor ihren Stadttoren die Bettler von den Wächtern abgewiesen werden. Krankheiten und Epidemien grassieren, vor allem die Pest, die 1571 wie so oft durch Württemberg zieht. Es ist die Zeit, in der sich in den protestantischen Ländern der Karfreitag als Gedenktag für die Leidtragenden etabliert.
Die harten Winter, Hagelstürme, Missernten und Plagen wie die Pest gelten als Strafen Gottes. Die Sündenböcke sind schnell gefunden: Ketzer und Ungläubige, Hexen und Magier, die die Unwetter herbeirufen, die
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