Das Weltgeheimnis (German Edition)
Früchte verderben, die aber oft auch aus völlig anderen Gründen denunziert werden. In den meisten Fällen trifft es Frauen. Auch wenn die Anklagepunkte noch so dürftig sind, werden sie auf schreckliche Weise gefoltert und hingerichtet. Die zweiundvierzig registrierten Hexenanklagen in Weil der Stadt enden bis auf zwei Ausnahmen alle mit dem Scheiterhaufen: eine Frau stirbt vor der Vollstreckung des Urteils, einer anderen, der Tagelöhnerin Maria Vischerin, gelingt nach ihrer Folter die Flucht. Sie habe sogar den Mut gehabt, anschließend beim Reichskammergericht eine öffentliche Anklage gegen die Stadt Weil zu erheben, so Wolfgang Schütz, Leiter des Stadtmuseums.
Der Vater im Krieg
Als Johannes Kepler geboren wird, stehen die schlimmsten Hexenverfolgungen noch bevor – seine Mutter kann sich vorerst vor Anschuldigungen sicher fühlen. Sie hat den Sohn des Bürgermeisters von Weil der Stadt geheiratet und eine auf den ersten Blick gute Partie gemacht. Ihr Ehemann Heinrich hat eine kaufmännische Lehre absolviert. Als ältester Sohn Sebald Keplers soll er einmal in die Fußstapfen seines Vaters treten und das Geschäft am Markt übernehmen. Für das gemeinsame Eheleben hat er eine ordentliche finanzielle Basis bekommen, die Braut eine noch stattlichere Mitgift.
Johannes’ Vater aber ist ein Hitzkopf. Für einen von ihm angezettelten Streit hat ihm der Rat der Stadt bereits eine gehörige Geldstrafe aufgebrummt. Auch die Ehe macht ihn nicht sanfter. Hart und lieblos geht er mit seiner Frau ins Gericht, treibt sich herum, während Katharina mit dem »jähzornigen, starrköpfigen« Schwiegervater und der »neidischen, gehässigen« Schwiegermutter klarkommen muss, wie Johannes die Großeltern später charakterisiert.
Der Junge ist gerade zwei Jahre alt, als sich sein Vater auf und davon macht. Heinrich Kepler zieht als Söldner in einen der vielen Kriege, die in Europa als Vorboten des großen, verworrenen und grausamen Dreißigjährigen Kriegs wüten. Am Ende dieses Krieges wird auch Weil der Stadt in Flammen aufgehen, das keplersche Geburtshaus, ein typisches Fachwerkhaus mit kleinen, niedrigen Räumen, das nach außen mit Lehm und Stroh isoliert ist, wird größtenteils zerstört.
Bis dahin vergehen noch Jahrzehnte. Einige Ereignisse werfen aber bereits dunkle Schatten voraus, so etwa das unbeschreibliche Blutbad, das die Königinmutter Katharina de’ Medici 1572 im benachbarten Frankreich anrichten lässt. Die Bartholomäusnacht, der Tausende Hugenotten zum Opfer fallen, wird zu einem Schreckensbild der Zeit.
Heinrich Kepler kommt als Soldat an einem anderen Brennpunkt zum Einsatz: in den reichen Niederlanden, einer neuen Drehscheibe des internationalen Seehandels und der Bankgeschäfte, wo ein offener Machtkampf zwischen der Monarchie und dem aufstrebenden Bürgertum ausgebrochen ist. Die katholischen Spanier unter dem Kommando des Herzogs von Alba gehen mit rücksichtsloser Härte gegen die Aufständischen vor.
Obwohl Heinrich Kepler Protestant ist, lässt er sich von den Spaniern anwerben. Gegen eine ordentliche Bezahlung willigt er ein, Seite an Seite mit den Katholiken zu kämpfen. An kriegswilligen Landsknechten mangelt es nicht. Von dem zwischenzeitlich drastischen Bevölkerungsrückgang hat sich Europa längst erholt. Die deutschen Städte sind im 16. Jahrhundert trotz Pestwellen und hoher Kindersterblichkeit weiter gewachsen, im bevölkerungsreichen Süden gibt es gerade während der Hungerkrise viele Notleidende, aber auch Draufgänger vom Schlag Heinrich Keplers, die sich vom Abenteuer des Soldatenlebens, einem festen monatlichen Sold und dem Recht, im Erfolgsfall Beute zu machen, aufs Schlachtfeld locken lassen.
Katharina Kepler ist entsetzt. Landsknechte gelten als Plünderer und Vergewaltiger, zum berüchtigten Lagerleben gehören Prostitution und Betrügereien. Ihr gelingt es jedoch nicht, Heinrich von seinem Entschluss abzubringen. Sie ist erneut schwanger, bringt nach längerer Krankheit ihren zweiten Sohn zur Welt und sammelt danach all ihre Kräfte, um den Ehemann an der Front zu suchen und heimzuholen. Mit dem Mut der Verzweiflung macht sich die junge Frau in das entlegene Kriegsgebiet auf.
Johannes bleibt zusammen mit seinem jüngeren Bruder Heinrich bei den Großeltern zurück. Eine schwere Pockeninfektion fällt in die Zeit der Trennung von der Mutter. Man verbindet ihm die Hände, damit er sich die erbsengroßen, hochgradig infektiösen Blasen nicht aufkratzt.
Als Katharina
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