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Das Weltgeheimnis (German Edition)

Das Weltgeheimnis (German Edition)

Titel: Das Weltgeheimnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas de Padova
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als unbelehrbarer Ketzer.
    Als Galilei das Weltgeheimnis bekommt, stehen Mästlins Werke schon auf dem Index der verbotenen Bücher, wie der Wissenschaftshistoriker Massimo Bucciantini in seiner detaillierten Analyse des Briefwechsels hervorhebt. Mästlins engstirniges Verhalten in der wichtigsten astronomischen Debatte des 16. Jahrhunderts wirft also möglicherweise auch auf seinen Schüler einen dunklen Schatten.
    Inwieweit Galilei 1597 bereits in solchen Zusammenhängen denkt, ist ungewiss. Sein universitäres Umfeld in Padua ist tolerant gegenüber Andersgläubigen. Aber Keplers gedankliche Winkelzüge schüren eher die Befürchtung, dass der Umgang mit ihm unangenehme Folgen haben könnte, als sie abzubauen. In welchen Kreisen wird der Deutsche den Brief zur Sprache bringen? Was wird davon nach Italien durchsickern?
    Der übereifrige Mathematiker
    Als sei ihm bewusst geworden, zu weit gegangen zu sein, versucht Kepler das Steuer noch einmal herumzureißen. »Doch wozu bedarf es der List! Seid guten Mutes, Galilei, und tretet hervor! Wenn ich recht vermute, gibt es unter den bedeutenden Mathematikern Europas wenige, die sich von uns scheiden wollen. So groß ist die Macht der Wahrheit. Wenn Italien Euch zur Veröffentlichung weniger geeignet erscheint und wenn Ihr dort Hindernisse zu erwarten habt, so wird uns vielleicht Deutschland diese Freiheit gewähren. Aber genug hiervon. Teilet mir wenigstens privatim mit, wenn Ihr es nicht öffentlich tun wollt, was Ihr zum Vorteil des Kopernikus entdeckt habt.«
    Keplers Aussichten, von Galilei »wenigstens privatim« zu erfahren, welche physikalischen Gründe seiner Meinung nach für Kopernikus sprechen, sinken von Absatz zu Absatz. Irrtümlicherweise hält er Galilei auch noch für einen erfahrenen Astronomen, der wie Brahe oder Mästlin regelmäßig eigene Beobachtungen anstellt: »Besitzt Ihr einen Quadranten, an dem Minuten und Viertelsminuten abgelesen werden können? Dann beobachtet um die Zeit des 19. Dezember die größte und kleinste Höhe des mittleren Schwanzsterns des großen Bären in derselben Nacht. Ebenso beobachtet um den 26. Dezember beide Höhen des Polarsterns. Den ersten Stern beobachtet auch um den 19. März 98 in seiner Höhe nachts um 12 Uhr, den zweiten um den 28. September ebenfalls um 12 Uhr.«
    Mit dieser Anfrage versucht Kepler, Galilei in die Lösung eines bedeutenden astronomischen Problems einzubeziehen: die Messung der Fixsternparallaxe. Im kopernikanischen System vollführt die Erde im Laufe eines halben Jahres eine halbe Drehung um die Sonne. Man sieht daher einen bestimmten Stern einmal von dem einen Standort aus, einmal aus einer völlig anderen Position. So wie ein ausgestreckter Daumen vor dem Hintergrund hin und her springt, wenn man rechtes und linkes Auge abwechselnd öffnet, sollte sich auch die Stellung des anvisierten Sterns im Jahreslauf um einen kleinen Winkel ändern.
    Dem Astronomen Tycho Brahe ist es bis dahin nicht gelungen, eine solche Schwankung zu messen, die eine direkte Bestätigung für die kopernikanische Hypothese wäre. Auch deshalb lehnt er die ganze Theorie ab.
    Wegen der unglaublich großen Entfernung der Sterne ist die Winkeldifferenz allerdings so klein, dass dieser Beweis erst dem Astronomen Friedrich Wilhelm Bessel mehr als zweihundert Jahre später glückt. Kepler macht sich wie alle seine Zeitgenossen völlig falsche Vorstellungen von den Ausmaßen des Universums. Zwei Wochen vor seinem Brief an Galilei hat er Mästlin um ähnliche Beobachtungsdaten gebeten. Mit dem Tübinger Professor ist er jedoch seit vielen Jahren befreundet, mit Galilei tritt er erstmals in Kontakt. Trotzdem behelligt er ihn wie selbstverständlich mit seinen Aufträgen.
    Ein lockerer Umgangston unter Naturwissenschaftlern ist bis heute nicht unüblich. Kepler jedoch lässt das rechte Gefühl für Nähe und Distanz vermissen. Statt bei der ersten Tuchfühlung über kulturelle Grenzen hinweg behutsam vorzugehen, schreibt er dem stets auf Diskretion bedachten Florentiner in einer für ihn charakteristischen Mischung aus Unbekümmertheit und Ungeduld. Noch der letzte Satz missrät ihm zu einer Forderung: »Lebet wohl und antwortet mir mit einem recht langen Brief.«
    Statt eines langen Briefes bekommt er gar keine Antwort mehr. Galilei zieht sich zurück. Was ein Gedankenaustausch zwischen zwei Forschern hätte werden können, die mit unterschiedlichen Argumenten die kopernikanische Idee stützen, endet schon nach einem einzigen

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