Das Weltgeheimnis (German Edition)
mehr als etwas Neues gelten kann, wäre es doch wohl besser, durch gemeinsames Einstehen hierfür den einmal in Gang gebrachten Wagen ans Ziel zu reißen und den großen Haufen, der ja nicht so sehr die Gründe abwägt, durch gewichtige Stimmen allmählich mehr und mehr niederzudrücken, um ihn so vielleicht mit List zur Erkenntnis der Wahrheit zu bringen.«
Der fünfundzwanzigjährige Mathematiklehrer beginnt seine Sache gut, zeichnet allerdings ein übertrieben positives Bild der Lage. Die »vielen sehr gelehrten Mathematiker«, die bereits Anhänger des Kopernikus seien, lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Galileis Brief ist die erste und einzige pro-kopernikanische Reaktion auf sein Buch, bis an sein Lebensende wird Kepler einer kleinen Minderheit angehören, die für das neue Weltbild streitet und sich immer wieder derselben Gegenargumente und theologischen Bedenken erwehren muss.
Gerade das macht seinen eindringlichen Appell umso begreiflicher. Kepler bemüht sich nach Kräften, seinen Kollegen umzustimmen, der von sich behauptet, die Ursachen vieler Naturerscheinungen mithilfe der kopernikanischen Theorie erklären zu können. »Mit Euren Gründen«, so Kepler, »würdet Ihr gleichzeitig auch den Genossen, die unter so vielen ungerechten Urteilen leiden, Hilfe bringen.«
Worum es sich bei diesen Naturerscheinungen handelt, hat Galilei offengelassen. Aber wahrscheinlich hat Kepler den richtigen Riecher, wie aus seinem Brief an den Kanzler des bayrischen Herzogs, Herwart von Hohenburg, wenige Monate später hervorgeht: Er vermutet, dass Galilei den Wechsel von Ebbe und Flut auf die Bewegung der Erde zurückführt. Tatsächlich wird Galilei später behaupten, die Gezeiten seien ein Echo des Meeres auf die Drehung des Globus um die Sonne und um seine eigene Achse. Diese Idee überzeugt Kepler nicht, da Ebbe und Flut ganz offensichtlich dem Lauf des Mondes folgen.
Gerne würde er mehr über Galileis wissenschaftliche Arbeiten erfahren, doch der möchte seine Position nicht durch ein voreiliges Plädoyer für die kopernikanische Theorie gefährden. Kepler selbst steht als Lehrer an einer Stiftsschule mit seinen astronomischen Interessen ziemlich allein da. Er sucht Anschluss an die Gelehrtenwelt und prescht mit einer Leidenschaft vor, die Galilei erst recht davor zurückschrecken lässt, hier gemeinsame Sache zu machen.
Undurchsichtige Gedankenspiele
Nachdem er in seinem Brief zunächst versucht hat, Galilei Mut zuzureden, kommt ihm beim weiteren Schreiben das Gespür für die Lage seines Gegenübers völlig abhanden. Obschon Galilei ihm seine Befürchtung eingestanden hat, sich mit einem Bekenntnis zu Kopernikus lächerlich zu machen, bedrängt ihn Kepler weiter. Er bringt Galilei damit nicht nur in die peinliche Situation, sich noch einmal für seine Zurückhaltung rechtfertigen zu müssen, sondern verwickelt ihn obendrein in ein undurchsichtiges und listiges Gedankenspiel.
Den stärksten Widerstand gegen Kopernikus sieht Kepler bei den Fachkollegen. »Da es zu ihrem Beruf gehört, geben sie keine Behauptung ohne Beweis zu.« Mit einer List könne man aber auch die Mathematiker umstimmen. Und dabei möchte er sich zunutze machen, dass es an jedem Ort in der Regel nur einen einzigen Mathematiker gebe.
Wer nun selbst als Mathematiker andere von der Richtigkeit der kopernikanischen Theorie überzeugen wolle, der solle von einem Gesinnungsgenossen einen Brief erwirken. »Durch Vorzeigen dieses Briefes (so ist mir auch der Eurige dienlich) kann er unter den Gelehrten die Meinung erwecken, wie wenn überall unter den Professoren der Mathematik Übereinstimmung herrschen würde.«
Dass eine derart konspirative Strategie bei Galilei nicht gut ankommt, könnte sich Kepler eigentlich denken. Der Mathematikprofessor hat ihm einen vertraulichen Brief geschrieben, den ersten überhaupt. Allein die Vorstellung, Kepler könnte nun mit diesem Brief bei anderen für das kopernikanische Weltbild werben, muss Galilei Unbehagen bereiten, zumal ihm schon Keplers Umfeld nicht ganz geheuer sein dürfte.
Galilei ist Katholik, Kepler Lutheraner und ein Schüler Michael Mästlins, der im Weltgeheimnis schon in den einleitenden Worten als Kronzeuge auftritt. In Italien ist dieser Mästlin seit der Kalenderreform bestens bekannt: als einer der Wortführer gegen die neue Zeitrechnung. Allen wissenschaftlichen Argumenten zum Trotz schreibt Mästlin gegen die Kalenderreform an und gilt seither bei katholischen Gelehrten
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