Das Weltgeheimnis (German Edition)
zwischen Keplers himmlischen Proportionen und dem von ihm selbst zu einem vielseitigen Rechengerät umgestalteten Proportionalzirkel liegen Welten. Bisher hat sich Galilei in Padua in erster Linie mit klar umrissenen technischen Problemen befasst. Allgemeinen Theorien steht er eher misstrauisch gegenüber. Zwar schätzt er die Klarheit mathematischer Beweise, hat jedoch bereits im Elternhaus gelernt, was passiert, wenn die Abstraktion zu weit getrieben wird.
So beendet er seinen Brief an den deutschen Mathematiker, ohne in irgendeiner Weise auf die spezielle Thematik des Buches und Keplers verwegenen Weltentwurf einzugehen: »Die Kürze der Zeit und der dringende Wunsch, Euer Buch zu lesen, drängen mich zu schließen, indem ich Euch meiner Zuneigung versichere und stets gerne zu Euren Diensten bereit bin. Lebet wohl und säumet nicht, mir weiter erfreuliche Nachricht von Euch zu geben.«
»SEID GUTEN MUTES, GALILEI, UND TRETET HERVOR!«
Kepler im Haifischbecken der Wissenschaft
Im Herbst 1597 schwelgt Johannes Kepler im ehelichen Wohlbehagen. »Was damit gesagt sein will, wird die Sonne an den Tag bringen, wenn sie in Quadratur zum Anfang gelangt sein wird.« Seinem ehemaligen Professor in Tübingen, Michael Mästlin, fällt es nicht schwer, die astronomisch verklausulierte Botschaft zu entziffern: Barbara Kepler ist schwanger. Vor einem halben Jahr haben die beiden in Graz geheiratet, nun erwarten sie ihr erstes Kind.
Kepler scheint nun endlich in Graz angekommen zu sein. In seinen ersten Jahren als Mathematiklehrer fühlte er sich hier wie im Exil, immer stand er mit einem Bein in seiner württembergischen Heimat. Am liebsten wäre er nach Tübingen zurückgekehrt, um sein Theologiestudium abzuschließen. Inzwischen aber hat er seine Hoffnung, Pfarrer zu werden, aufgegeben und sich durch seine Heirat an den neuen Wohnort gebunden.
Neben der nahenden Vaterschaft beflügelt ihn sein soeben herausgebrachtes Weltgeheimnis . Voller Ungeduld wartet er auf ein Echo und wendet sich an Mästlin, um zu erfahren, »welches Glück Gruppenbach mit dem Vertrieb des Buches gehabt hat und ob inzwischen ein Mann von Namen Euch bekannt geworden ist, der seine Stimme für die Wahrheit abgibt«. Dabei denkt er vor allem an den dänischen Astronomen Tycho Brahe. Bisher allerdings hat es kaum Resonanz auf das Buch gegeben. »Es scheint, dass ich mich mit der Freude an meiner Spekulation zufriedengeben muss.«
Als Kepler diese Zeilen zu Papier bringt, hat er schon Post aus Italien erhalten. Zwei Exemplare seien von dem Mathematiker Galilaeus Galilaeus freundlich aufgenommen worden. Der ist zwar zu dieser Zeit noch kein Mann von Namen, aber Professor an einer renommierten Universität. Und sein Interesse an dem Buch geht immerhin so weit, dass er den Boten gebeten hat, ihm zwei weitere Exemplare zu schicken. Kein Wunder also, dass ihm Kepler begeistert antwortet.
Galileis Brief habe ihn gleich doppelt erfreut. »Einmal, weil damit die Freundschaft mit Euch, dem Italiener, geschlossen wurde, sodann wegen der Übereinstimmung in unseren Ansichten betreffs der kopernikanischen Kosmografie.« Er hoffe, dass Galilei das Buch inzwischen gelesen habe. »Das ist nämlich meine Art, alle, denen ich schreibe, zu drängen und sie um ihre unverfälschte Meinung zu bitten. Glaubet mir, die schärfste Kritik eines einzigen verständigen Mannes ist mir viel lieber als der gedankenlose Beifall des großen Haufens.«
Im Stillen mag er sich gedacht haben, dass die Kritik nicht allzu hart ausfallen wird. Er muss Galilei ja nicht erst für die kopernikanische Sichtweise gewinnen. Warum aber hält der Italiener mit seinen Erkenntnissen hinterm Berg, wenn er doch beklagt, dass diejenigen so selten seien, »die nach der Wahrheit streben«? Warum meint ein gestandener Professor, der ihn als »Gefährten der Wahrheit« begrüßt, sich selbst bedeckt halten zu müssen? Diese Frage beschäftigt Kepler, der seine Arbeit voller Enthusiasmus begonnen hat, am meisten.
Plädoyer für ein kopernikanisches Bündnis
»Ihr gebt in klug verborgener Weise mit dem Beispiel Eurer Person die Mahnung, man solle vor der allgemeinen Unwissenheit weichen und sich nicht leichtfertig den wütenden Angriffen des Gelehrtenhaufens aussetzen oder entgegenstellen … Allein, nachdem in unserer Zeit zuerst von Kopernikus und weiterhin von vielen sehr gelehrten Mathematikern der Anfang zu dem ungeheuren Werk gemacht worden ist und die Behauptung, dass sich die Erde bewegt, nicht
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