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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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geplündert.«
    Es war keine Frage, trotzdem antwortete Henry.
    »Ja, vielleicht habe ich ein bisschen herumgeschnippelt«, sagte er.
    »Du leugnest es also nicht?«
    »Alles Geschrei der Welt würde doch auch nichts daran ändern, oder?«
    Wieder lachte Banks. Vielleicht glaubte er, dass der Junge eine Masche abzog und den Mutigen spielte, aber Henrys Mut war echt. Genauso wie seine Angst. Und seine fehlende Reue. Reue empfand Henry zeitlebens als Schwäche.
    Banks schlug also einen anderen Kurs ein. »Ich muss sagen, junger Mann, dass du deinem Vater in höchstem Maße Kummer bereitet hast.«
    »Er mir auch«, gab Henry zurück.
    Wieder das überraschte, bellende Lachen. »Tatsächlich? Welches Leid hat dir der gute Mann denn zugefügt?«
    »Mich arm gemacht, Sir«, sagte Henry. Plötzlich ging ihm ein Licht auf, und er fügte hinzu: »Er war’s, oder? Hat er mich verraten?«
    »Allerdings. Dein Vater ist ein hochanständiger Mensch.«
    Henry zuckte die Achseln. »Mir gegenüber ja wohl nicht.«
    Banks nahm die Replik nickend zur Kenntnis und gestand Henry diese Einschätzung großzügig zu. Dann fragte er: »Wem hast du meine Pflanzen verkauft?«
    Henry zählte die Namen an den Fingern auf. »Mancini, Flood, Willink, LeFavour, Miles, Sather, Evashevski, Fuerele, Lord Lessig, Lord Garner …«
    Banks unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Mit unverhohlenem Erstaunen musterte er den Jungen. Seltsamerweise hätte er, wäre die Liste belangloser gewesen, vielleicht sogar zorniger reagiert. Aber diese Männer waren die angesehensten Botaniker der damaligen Zeit. Einige von ihnen bezeichnete Banks als Freunde. Wie hatte der Junge sie aufgespürt? Manche waren seit Jahren nicht mehr in England gewesen. Das Kind betrieb ganz offensichtlich Exporthandel. Was war das für ein Feldzug, den diese Kreatur hier vor seiner Nase geführt hatte?
    »Woher weißt du eigentlich, wie man mit Pflanzen umgeht?«, fragte Banks.
    »Ich kenne die Pflanzen, Sir, hab ich schon immer. Irgendwie weiß ich das alles schon mein Leben lang.«
    »Und diese Männer? Geben sie dir Geld?«
    »Sonst bekommen sie ja ihre Pflanzen nicht«, sagte Henry.
    »Dann musst du gut verdienen. Wirklich, da muss in den letzten Jahren ein Haufen Geld zusammengekommen sein.«
    Henry war klug genug, sich dazu nicht zu äußern.
    »Was hast du mit dem Geld gemacht, junger Mann?« Banks ließ nicht locker. »Offensichtlich hast du nicht in deine Garderobe investiert. Deine Einkünfte sind ohne jeden Zweifel Eigentum von Kew. Wo ist das ganze Geld?«
    »Weg, Sir.«
    »Weg? Wohin?«
    »Würfelspiel, Sir. Wissen Sie, das Glücksspiel ist meine Schwäche.«
    Das mag wahr sein oder auch nicht, dachte Banks. Jedenfalls besaß der Junge eine furchtlose Dreistigkeit, die er bei wilderen Exemplaren der Spezies Mensch schon häufiger angetroffen hatte. Banks war fasziniert. Immerhin war er ein Mann, der sich einen Heiden gewissermaßen als Haustier hielt und der – wie man ehrlicherweise hinzufügen sollte – selbst im Ruf stand, ein halber Heide zu sein. Sein gesellschaftlicher Rang verlangte von ihm, zumindest nach außen hin alles Vornehme, Aristokratische zu bewundern, aber insgeheim war ihm das Ungebändigte, Wilde gar nicht unlieb. Und was war dieser Henry Whittaker doch für ein wilder Vogel! Sir Joseph Banks’ Bereitschaft, dieses kuriose Menschenexemplar den Konstablern zu übergeben, schwand zusehends.
    Henry, dem nichts entging, merkte, dass in Banks’ Gesicht etwas geschah – ein Aufscheinen von Neugier, ein Weicherwerden der Züge, der Hauch einer Chance, doch noch sein Leben zu retten. Sein Selbsterhaltungstrieb ließ ihn, den schmalen Lichtstreif der Hoffnung vor Augen, ein letztes Mal vorpreschen.
    »Bringen Sie mich nicht an den Galgen, Sir«, sagte Henry. »Sie werden es bereuen, wenn Sie’s tun.«
    »Was schlägst du mir stattdessen vor?«
    »Lassen Sie mich nützlich sein.«
    »Warum sollte ich?«, fragte Banks.
    »Weil ich besser bin als die anderen.«

Kapitel 2
    So baumelte Henry zu guter Letzt doch nicht am Galgen von Tyburn, und auch der Vater verlor nicht seine Stellung. Wie durch ein Wunder blieben die Whittakers verschont, und Henry ging lediglich ins Exil, von Sir Joseph Banks zur See geschickt, um auszuloten, was die Welt mit ihm anfangen konnte.
    Man schrieb das Jahr1776 , und Kapitän Cook war im Begriff, sich auf seine dritte Weltreise zu begeben. Banks nahm an dieser Expedition nicht teil. Er war schlicht und einfach nicht eingeladen

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