Das Wesen. Psychothriller
seine Stirn sich in tiefe Falten legte. »Wer hatte was woher?«
Ich wusste sofort, was Lichner meinte, obwohl es schon so viele Jahre her war.
»Ich meine Nicole, Herr Hauptkommissar. Woher hatte sie das Haargummi, das Sie in meinem Schrank
gefunden
haben? Und die Haare auf dem Autositz. Haben Sie das organisiert?«
36
21. Februar 1994
Das Haargummi stammte zweifelsfrei von Juliane Körprich, ihre Mutter erkannte es sofort. Zudem konnten einige der feinen Haare, die auf der Beifahrerseite von Dr. Lichners BMW gefunden wurden, laut DNA -Analyse eindeutig dem Mädchen zugeordnet werden. Auf einem der Computer in Lichners Behandlungszimmern fanden die IT -Spezialisten in einem Dateiordner, der unter den Systemordnern des Betriebssystems versteckt und verschlüsselt war, etwa fünfzig Internetadressen mit kinderpornografischen Inhalten. Lichner bestritt zwar, die Adressen gespeichert zu haben, und gab an, jeder in der Praxis habe Zugang zu dem Computer und hätte die Adressen dort abspeichern können, aber sehr glaubwürdig klang das nicht.
Die Karten standen schlecht für Dr. Joachim Lichner. Als Menkhoff ihn in einem Verhör im Beisein seines Anwalts damit konfrontierte, dass Nicole Klement auch ihre Aussage zu dem besagten Freitagabend geändert hatte, war Lichners einzige Reaktion ein Schulterzucken und die Erklärung: »Nicole ist nicht so, wie sie zu sein scheint. Aber das verstehen Sie sowieso nicht.«
Ansonsten beteuerte er mit geradezu unheimlich stoischer Ruhe immer wieder seine Unschuld.
37
23. Juli 2009
»Worüber denkst du nach, Alex?«
»Dieser Lichner ist mir ein Rätsel«, sagte ich und war ganz froh, auf den Verkehr vor uns achten zu müssen. »Er hat seine Zeit abgesessen, daran ist nichts mehr zu ändern. Warum fängt er nach all den Jahren mit so was an?«
»Ich hab ihn damals in den Knast gebracht, er hasst mich«, antwortete Menkhoff, und es klang, als sei es die logischste Sache der Welt.
»Ja, kann sein.«
Nach einer Weile des Schweigens fragte ich Menkhoff, was er mit den Unterlagen vorhatte, die auf dem Rücksitz lagen. »Ich werde sie mit nach Hause nehmen und mir damit einen langen Abend machen«, erklärte er mir. »Und wenn du mir einen großen Gefallen tun möchtest, kommst du mit und hilfst mir.«
Ich war überrascht. »Helfen? Wobei soll ich dir helfen, Bernd? Du möchtest wissen, was damals mit Nicole Klement los war. Ich kann verstehen, dass das für dich wichtig ist, aber … ich weiß nicht, was ich dabei soll?«
Menkhoff atmete schnaufend. Er hob die Hand zur Stirn, spreizte die Finger und drückte mit Mittelfinger und Daumen leicht kreisend gegen seine Schläfen. »Dieser Lichner … Erinnerst du dich an die Fotos, die wir in dem Album gefunden haben? Die beiden, auf denen Nicole mit ihm zusammen drauf war?«
»Ja, klar.«
»Die Bildunterschrift …
Eynatten
, dann ein Datum im August 2007 und
In der Hütte
.«
»Ja, kann sein, das Datum weiß ich nicht mehr, aber das mit der Hütte, du meintest, wahrscheinlich ein Wochenendhaus.«
»Es
war
August 2007, also kurz nachdem Lichner entlassen worden war.« Er sprach nun schneller, fast schon hastig. Daumen und Zeigefinger malten noch immer kleine Kreise an seinen Schläfen, die Handfläche verdeckte seine Augen. »Er war ihr Therapeut, er hat sie lange behandelt und war gleichzeitig ihr Lebensgefährte. Er hatte Macht über sie. Große Macht. Kann gut sein, dass er diese Macht mit einem Fingerschnippen wieder zurückhatte, als sie sich zum ersten Mal wiedergesehen haben.«
Ich glaubte zu ahnen, worauf das hinauslaufen würde. Hundert Meter vor uns lag die Einbuchtung einer Bushaltestelle. Dort stoppte ich und sah zu ihm herüber. »Bernd, wenn du … also wenn du sie von ihm wegholen möchtest, … ich weiß nicht … –«
Er winkte ab. »Hör mir zu, Alex. Wenn wir davon ausgehen, dass er genau weiß, welche Knöpfe er bei Nicole drücken muss, und dass er sie auch gedrückt hat, dann ist es doch möglich, dass sie ihm … hörig ist, oder?« Bevor ich etwas dazu sagen konnte, redete er weiter, und er redete nun nicht mehr nur sehr schnell, seine Stimme hatte mittlerweile auch etwas Hysterisches, etwas ganz und gar Nicht-Menkhoffisches an sich. »Was, wenn er sie nicht erst kurz nach seiner Entlassung wiedergesehen hat, Alex? Und was, wenn er bei einem seiner Freigänge mit ihr im Bett war, na?«
Nun endlich begann mir zu dämmern, was er meinte, und allein der Gedanke daran jagte mir einen Schauer
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