Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wesen. Psychothriller

Das Wesen. Psychothriller

Titel: Das Wesen. Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
Vom Netzwerk:
ist … es gab so vieles, das ich nicht verstanden habe. Vielleicht wird einiges klarer, wenn ich das gelesen habe, was da hinten auf dem Rücksitz liegt. Vielleicht gibt es etwas, was … vielleicht verstehe ich manche Dinge danach so gut, dass ich ihr helfen kann …«
    »Helfen wobei? Von ihm loszukommen?«
    »Ja, vielleicht, von diesem verfluchten Kerl loszukommen.«
    Ich sah, wie sehr Bernd Menkhoff in diesem Moment litt.
    »Okay, wenn du denkst, es bringt etwas, werde ich dir helfen, diese Ordner durchzusehen. Wann und wo?«
    »Heute Abend, bei mir zu Hause. Jetzt müssen wir noch woandershin.«
    »Wohin?«
    »In die Oppenhoffallee.«

38
    12. Oktober 1994
    Während des Prozesses gegen Dr. Joachim Lichner sah man Marlies Bertels an, dass sie sich bei der Befragung durch Dr. Lichners Anwalt kaum zu antworten traute, als dieser etwas lauter wurde. Dennoch waren ihre Angaben klar und eindeutig. Auch den vermeintlichen Widerspruch bezüglich des Spielplatzes stellte sie klar. Sie bestand darauf, zu keinem Zeitpunkt behauptet zu haben, sie habe Dr. Lichner
auf
dem Spielplatz dabei beobachtet, wie er der kleinen Juliane etwas zusteckte. Sie habe stets nur davon gesprochen, ihn
am
Spielplatz gesehen zu haben, und damit den Bereich vor den Hecken gemeint, den sie einsehen konnte.
    Sowohl Menkhoff als auch ich räumten das auf Nachfrage des Staatsanwaltes ein. Auch als Dr. Mayerfeld nach dem Streit auf dem Nachbarschaftsfest fragte, reagierte Frau Bertels erstaunlich souverän. Sie habe auf dem Fest eine wirklich unschöne Bemerkung über Nicole Klement gemacht, weil die junge Frau sie nie grüßte. Das sei nicht fair gewesen, aber sie habe das auch eingesehen und sich schon am nächsten Tag sowohl bei Dr. Lichner als auch bei seiner Lebensgefährtin dafür entschuldigt. Lichner stritt das zwar vehement ab, aber Nicole Klement bestätigte es später. Ebenso gab sie an, dass Lichner in der Mordnacht erst gegen Mitternacht nach Hause gekommen sei und nicht, wie er behauptete, schon gegen halb acht. Ihre Aussage zum Zustand seines Autos machte sie unter Tränen. Man sah ihr an, dass es sie viel Kraft kostete, ihre Aussage vor dem Richter durchzustehen.
    Ebenfalls belastend wirkten sich die gespeicherten Internetadressen aus, auch wenn Lichner beteuerte, die kinderpornografischen Seiten selbst nie aufgerufen zu haben.
    Das Motiv konnte nicht restlos geklärt werden, da an der Mädchenleiche keine Spuren eines sexuellen Missbrauchs gefunden worden waren.
    Nach nur 13 Verhandlungstagen wurde Dr. Joachim Lichner für schuldig befunden, am 25. Januar 1994 die vierjährige Juliane Körprich getötet zu haben, und zu 14 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Dass Lichner bis zu diesem Zeitpunkt nie polizeilich aufgefallen war und sich dem Gericht schon viele Male als kompetenter Sachverständiger zur Verfügung gestellt hatte, wusste Dr. Mayerfeld so geschickt einzusetzen, dass der Richter damit unter der Forderung der Staatsanwaltschaft nach einer lebenslangen Freiheitsstrafe blieb und Lichner hoffen durfte, bei guter Führung sogar etwas früher auf Bewährung rauszukommen.
    In einem Punkt sollte Dr. Lichner zumindest ansatzweise recht behalten: Ich lebte zwar nicht mit der
Gewissheit
, dass der wahre Mörder noch frei herumlief, aber völlig ausschließen konnte ich es nicht.

39
    23. Juli 2009, 13.36 h
    Ich mochte die Atmosphäre der Oppenhoffallee mit ihren schmalen, hohen Häusern, deren Fronten mit steinernen Figuren und Säulen, Erkern und kleinen, halbrunden Balkonen ausgestattet waren. In solchen Häusern hatten im 19. Jahrhundert wohlhabende Aachener Kaufmannsfamilien gewohnt.
    Die alten, mächtigen Bäume, die auf dem breiten Mittelstreifen Spalier standen, der die beiden Fahrtrichtungen voneinander trennte, warfen ihre Schatten als bizarre, zweidimensionale Gestalten mit scharf gezackten Konturen auf die Straße, und im verwirrenden Wechselspiel aus Licht und Schatten musste ich die Augen zukneifen.
    Nicole Klements Wohnung lag in der fünften Etage. Es gab keinen Aufzug, und es waren 92 Stufen bis vor die schwere Holztür, die ihre Wohnung vom Flur trennte. Wenn man einmal angefangen hat, Treppenstufen zu zählen, kann man nicht mehr damit aufhören, bis man oben ist.
    Als auf Menkhoffs Klingeln hinter der Tür Schritte zu hören waren, wurde mir bewusst, dass ich insgeheim gehofft hatte, sie wäre nicht zu Hause. Ich weiß nicht, warum mir das lieber gewesen wäre, vielleicht, weil dieses Wiedersehen zwischen ihr

Weitere Kostenlose Bücher