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Das Wesen. Psychothriller

Das Wesen. Psychothriller

Titel: Das Wesen. Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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und Menkhoff ein ungutes Gefühl in mir erzeugte.
    Aber sie war da. Die Tür öffnete sich, und als sie vor uns stand, die Hand an der halbgeöffneten Tür, war es fast genauso wie viele Jahre zuvor, als wir ihr zum ersten Mal gegenübergestanden hatten. Es schien, als hätten wir mit jeder der 92 Stufen einige Wochen in der Zeit zurückgelegt, um in diesem Moment schließlich wieder an einem Tag im Februar des Jahres 1994 anzukommen.
    Nicole hatte nichts von ihrer zerbrechlich wirkenden Schönheit verloren, aber die Aura aus Melancholie, die sie stets umgab, war noch deutlicher spürbar, die Traurigkeit in ihren Augen noch tiefgründiger. Ich dachte an die Abscheulichkeiten, die ich in ihrer Patientenakte gelesen hatte, und eine Faust bohrte sich in meinen Magen. Kein Wunder, dass ich noch nie gesehen hatte, dass Nicole von Herzen lachte. Ihr schwarzes Haar, nun von helleren Strähnen durchsetzt, trug sie um einiges kürzer, es reichte ihr noch eben so bis auf die Schultern.
    Falls sie überrascht war, uns zu sehen, ließ sie es sich nicht anmerken. Genau wie damals stand sie stumm auf der Schwelle, und doch gab es einen Unterschied: 15 Jahre zuvor war ihr Blick unstet zwischen Menkhoff und mir hin- und hergewandert. Dieses Mal hingen ihre Augen an meinem Partner fest. Ich hätte nicht einmal sicher sagen können, ob sie mich überhaupt registriert hatte.
    »Nicole«, sagte Menkhoff. Seine Stimme klang heiser. Als hätte nicht er, sondern ich gesprochen, löste sich ihr Blick von seinem Gesicht, huschte für einen kurzen Moment zu mir und gleich darauf wieder zurück.
    »Ja?«
    Das war alles. Kein
Woher hast du meine Adresse?
oder
Wo kommst du nach all den Jahren her?
oder gar ein
Schön dich zu sehen
. Einfach nur ein mit zarter Stimme traurig gehauchtes:
Ja?
    Sogar Menkhoff war offensichtlich von dieser Begrüßung überrascht. »Ich … Wir würden uns gern kurz mit dir unterhalten«, sagte er. »Hast du einen Moment Zeit?«
    »Ihr?«, fragte sie. »Also dienstlich?«
    Ich fühlte mich angesprochen, wohl, weil mein Unterbewusstsein die Trennung registrierte, die sie gemacht hatte: privat gleich Bernd Menkhoff, dienstlich gleich Bernd Menkhoff plus Alexander Seifert. »Indirekt dienstlich, Nicole«, antwortete ich deshalb, und noch immer war ihr Vorname, oder besser, die persönliche Anrede, ein kleiner Hügel für mich, den ich jedes Mal aufs Neue erklimmen musste.
    »Es geht um Joachim Lichner«, sagte mein Partner. Nicole zeigte darauf keine Reaktion. »Dürfen wir einen Moment hereinkommen?«, fragte Menkhoff mit wieder sanfter Stimme.
    Sie sah hinter sich in ihre Wohnung, als müsse sie dort jemanden um Erlaubnis fragen oder als wolle sie nachsehen, ob der Flur aufgeräumt war. Dann aber machte sie einen zögerlichen Schritt zur Seite und gab den Eingang frei. Wir gingen an ihr vorbei und warteten, bis sie die Tür geschlossen hatte und uns voraus ins Wohnzimmer ging, in das der kurze Flur mündete. Sie zeigte auf einen runden Esstisch, an dem vier Stühle standen, und wir setzten uns. Über einem mit braunem Cord bezogenen Sessel uns gegenüber hing unordentlich eine Decke. Wie gedankenverloren zog Nicole sie herunter und begann sie zu falten, ganz so, als hätte sie vergessen, dass wir am Tisch saßen. Die Wohnung war nicht ungemütlich, aber sehr dunkel eingerichtet. Der Teppich, die Möbel, die kleine Couch, sogar die Wände waren in Brauntönen gehalten, die teilweise fast ins Schwarze übergingen. Überall standen kitschige Dinge herum, Staubfänger, seltsame Gestalten aus Porzellan, ein sich aufbäumendes Holzpferd mit verzerrten Proportionen, Döschen und Töpfchen in allen Größen, Puppen in sackartigen Kleidern. All diese Dinge hatten etwas gemeinsam: Sie wirkten auf ihre Art traurig, trist. Kein Lächeln eines Puppenmundes, keine fröhlichen Farben an einer der Döschen, dafür blutige Tränen auf den verschrumpelten Porzellanwangen einer unterarmhohen Figur. Am auffälligsten aber waren die Fotos: In verschieden große Rahmen aus unterschiedlichen Materialien gefasst, standen auf einem dunklen Eichensideboard vier Kinderfotos. Ich konnte von meinem Platz aus zwar die Gesichter nicht genau erkennen, aber es schien, als handele es sich ausschließlich um kleine Mädchen. Auch Menkhoff waren die Fotos aufgefallen, wie ich mit einem Blick zur Seite feststellte. Er starrte sie mit unbewegter Miene an.
    »Was ist mit Joachim?«, fragte Nicole unvermittelt und setzte sich mir gegenüber an den Tisch.

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