Das Wesen. Psychothriller
zerquetschte seine weißen Beine und seinen Unterleib zwischen Motorhaube und Fassade der Metzgerei Schmidt.
Erich Zöller hatte sich einen besonderen Tag zum Sterben ausgesucht, denn die beiden Polizisten, die eine halbe Stunde später – es war kurz vor neun – an Katharina Klements Tür klingelten, erwischten sie nüchtern und in einem halbwegs gepflegt aussehenden Zustand. Das hatte nichts damit zu tun, dass Katharina ausgerechnet an diesem Morgen keine Lust auf ein Gläschen oder zwei gehabt hätte, sondern dass sie seit Tagen Zahnschmerzen hatte und nicht riskieren wollte, dass der Zahnarzt sie wieder nach Hause schickte. Das hatte er schon einmal getan, weil sie so betrunken gewesen war, dass sie ihm zweimal auf den Bohrer und einmal in den Finger biss, während er versuchte, die kariösen Stellen an ihrem Backenzahn zu entfernen. Die uniformierten Beamten logen ihr vor, ihr Mann sei sofort tot gewesen und habe nichts mehr gespürt. Was hätte es Katharina Zöller-Klement auch genützt zu wissen, dass ihr Erich noch mehrere Minuten lang die Gelegenheit hatte, schreiend und wimmernd größere rote Flecke und verschiedene Teile von sich auf dem silberfarbenen Blech des Autos zu betrachten, bevor für ihn das große Geheimnis für immer zu Ende war. Der Metzger Schmidt aber hatte alles beobachtet und ließ es sich nicht nehmen, den Unfall so oft zu schildern, bis auch Katharina und ihre Tochter jedes Detail kannten.
Als Nicole um die Mittagszeit aus der Schule kam, hatte Katharina eine Flasche Weißwein und eine halbe Flasche Martini Rosso intus und erklärte dem Mädchen lallend und unter Tränen, dass Papa einen Unfall hatte und im Himmel war. Nicole weinte mit ihrer Mama gemeinsam, aber der Grund war ein anderer.
Tante Marlene, zwischendurch verheiratet und wieder geschieden und noch immer kinderlos, nahm die Nachricht vom Tod ihres Schwagers eher gelassen hin. Der Kerl war ihr von Anfang an unsympathisch gewesen. Er hatte etwas hinterhältig Verschlagenes in seinem Blick, das bei Marlene stets Alarmstufe Gelb auslöste, wenn sie ihn sah.
Dieses Mal zog Marlene gleich ganz zu ihrer versoffenen Schwester und ihrer Nichte, um sich um das Mädchen kümmern zu können.
Es dauerte nur ein knappes Jahr, bis Nicoles Mutter dann mittels einer Leberzirrhose Papa Erich in den Himmel folgte. Zumindest war das mit dem Himmel die Version, die Marlene der mittlerweile neunjährigen Nicole erklärte. Ohne Erich Zöller gut genug gekannt zu haben, um auch nur andeutungsweise von so was wie dem
großen Geheimnis
eine Vorstellung zu haben, ahnte Tante Marlene doch, dass die Sache mit dem Himmel für ihn eher fraglich war.
Nicoles Trauer drückte sich auf eine Art und Weise aus, die Marlene Sorgen bereitete. Schon während der Zeit, in der Erich Zöller Nicoles Papa gewesen war, hatte Marlene kaum noch die Möglichkeit gehabt, an das Mädchen heranzukommen. Nicole antwortete nur einsilbig, wenn Marlene sie ansprach, und von sich aus sagte sie überhaupt nichts.
Nach Zöllers Tod war sie ihrer Tante gegenüber ein wenig aufgetaut. Nun aber, da ihre Mutter nicht mehr lebte, tat Nicole Dinge, die so furchtbar waren, dass Marlene sich bald keinen Rat mehr wusste. So fand sie etwa zwei Wochen nach der Beerdigung ihrer Schwester zwei tote Katzenbabys unter einer Hecke im Garten. Als sie Nicole fragte, ob sie die Kätzchen schon einmal im Garten gesehen habe, erklärte sie, ja, und sie habe sie beschützt. Marlene verstand nicht, was das Kind damit meinte. Sie fragte nach, bekam aber keine Antwort mehr.
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23. Juli 2009, 22.19 h
Menkhoff zerknüllte mit einem dumpfen Knurren das Blatt, das er gerade in der Hand hielt, und warf es mit Schwung in die Mitte des Raumes. »Dieses elende, gottverdammte Dreckschwein«, schrie er. »Man sollte ihn ausbuddeln und auf seine Leiche spucken. Perverses, abartiges Schwein.«
Er war außer sich, Tränen liefen ihm über die Wangen, die er mit einer fahrigen Handbewegung abwischte. Ich legte die Seite, die ich gerade gelesen hatte, auf den Tisch und sah ihn an. Wo gerade noch die blanke Wut wahre Blitze aus seinen Augen gejagt hatte, konnte ich jetzt nur noch Hilflosigkeit und Trauer erkennen. »Ich habe sie manchmal angeschrien, Alex. Ich habe ihr Vorwürfe gemacht, wenn sie … wenn sie mich abgewiesen hat. Mein Gott, ich konnte doch nicht wissen …«
»Nein, das konntest du nicht, Bernd«, sagte ich. »Und es gibt nichts, was du dir vorwerfen musst.«
Es fiel mir schwer, so mit
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