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Das Wesen. Psychothriller

Das Wesen. Psychothriller

Titel: Das Wesen. Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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mit versteinertem Gesicht gelesen hatte, gab er sie an mich weiter und griff sich das nächste Blatt. Lichner hatte bis in alle Einzelheiten aufgeschrieben, was er in unzähligen Hypnosesitzungen von Nicole erfahren hatte, und es war ein zu Papier gebrachter Albtraum.
    Große Teile von dem, was da aufgezeichnet war, wusste auch Nicole nur aus Erzählungen ihrer Tante, der sich ihre Mutter anvertraut hatte.
    Nicole Klement wurde am 12. April 1971 in Mechernich in der Eifel geboren. Als sie sich nach ihrem ersten Atemzug lautstark über diese kalte, helle, neue Welt beschwerte, waren es bis zum letzten Atemzug ihres Vaters noch vier Monate und drei Tage.
    Nicoles Mutter war mit ihr im sechsten Monat schwanger, als Gerhard Klement in der Werkstatt, in der er als Kfz-Mechaniker arbeitete, während eines Ölwechsels umkippte. Als der Krankenwagen kam, war er schon wieder bei Bewusstsein und erklärte den Sanitätern und dem Notarzt verlegen, es sei nichts, sie könnten wieder fahren, und er würde das schöne weiße Bettzeug doch mit seinem Arbeitsoverall und den öligen Händen ganz schmutzig machen. Der Arzt bestand aber darauf, ihn zur Untersuchung mitzunehmen. Die Ohnmacht war durch Hirnmetastasen ausgelöst worden, deren Ursprung ein zu diesem Zeitpunkt zehn Zentimeter großer Tumor an einer sehr ungünstigen Stelle zwischen Herz und Lunge war. Die verdammten Zigaretten … Die Chemotherapie vertrug Gerhard Klement überhaupt nicht, und nachdem er einige Tage hintereinander mehr tot als lebendig dahinvegetiert hatte, beschloss er, die Therapie abzusetzen und die ihm noch bleibende Zeit menschenwürdig zu verbringen. Sein größter Wunsch war es, seine Tochter noch zu sehen und so viel Zeit wie möglich mit ihr zu verbringen. In den 125 Tagen, die er nach Nicoles Geburt noch lebte, gab es dann auch fast keine Minute, die er nicht mit ihr zusammen verbrachte, es verging keine Viertelstunde, in der er sie nicht berührte, ihr mit seinen schwieligen Händen zärtlich über die runden Wangen streichelte. Stundenlang sah er sie verzückt an, als er es noch konnte, und musste sie dabei immer wieder herzen und küssen. Sein eigenes Schicksal schien er dabei zu vergessen. Und das seiner Frau auch.
    Gerhard Klement starb am 15. Juli 1971 im Alter von 32 Jahren, und mit ihm starb der wohl einzige schöne Abschnitt in Nicoles Kindheit.
    Katharina Klement, zu diesem Zeitpunkt 26 Jahre alt, war von jeher sehr labil und wurde mit der Situation nicht fertig. Gerade als sie ihren Mann am meisten gebraucht hätte, als sie sich von ihm Beistand erhofft hatte, weil sie ihn doch bald verlieren würde, da hatte er sie alleine gelassen mit ihrer Not und sich nur um seine Tochter gekümmert. Sogar zum Schlafen hatte er sie dicht bei sich liegen, und als Katharina das Baby nicht stillen konnte, weil sich alles in ihr dagegen wehrte, kümmerte Gerhard sich auch noch um die Fläschchen. Katharina hatte überhaupt nichts zu tun. Sie war überflüssig und hatte den ganzen Tag Zeit, über ihr Unglück und die Ungerechtigkeit nachzudenken.
    In den ersten Wochen nach Gerhards Tod machte sie der Kleinen nur widerwillig ihre Flasche und auch nur, wenn sie das elende Geschrei überhaupt nicht mehr aushalten konnte. Manchmal musste sie auch einfach mal für ein paar Sekunden ein Kissen auf das vom Schreien krebsrote Gesicht drücken. Die Kleine hörte dadurch zwar nicht mit dem Schreien auf, aber es tat Katharina einfach gut, es dem Schreihals mal kurz gezeigt zu haben.
    Ihre vier Jahre ältere Schwester Marlene merkte relativ schnell, dass Katharina mit der Situation überfordert war. Das rettete Nicole wahrscheinlich das Leben. Marlene hatte selbst keine Kinder und zu der Zeit auch keinen Mann. Sie kam schon frühmorgens vorbei, bevor sie zur Arbeit ins Reisebüro fuhr, wechselte die Nachtwindel, zog Nicole um und machte ihr ein Breifläschchen. Katharina bekam meist nichts davon mit, weil sie noch schlief. Ebenso kam Marlene am Nachmittag und kümmerte sich um alles Nötige und oft noch ein weiteres Mal am Abend. Marlene wollte auf jeden Fall vermeiden, dass das Jugendamt Wind von der Situation bekam, weil sie befürchtete, Katharinas Leben würde völlig aus dem Ruder laufen, wenn man ihr auch noch das Kind wegnähme. Über ein halbes Jahr lang war jeder Tag für die kleine Nicole eine Aneinanderreihung von hastiger Versorgung und Verwahrlosung.
    Dann kam Erich Zöller.
    Katharina lernte ihn im Supermarkt kennen, als sie gleichzeitig nach einem

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