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Das Wesen. Psychothriller

Das Wesen. Psychothriller

Titel: Das Wesen. Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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hellseherischen Fähigkeiten braucht, um zu wissen, dass Sie herkommen würden, nachdem Sie die Akten durchgesehen haben.« Es klang völlig Lichner-untypisch. Keine Spur von Überheblichkeit oder Sarkasmus. Er schien ausnahmsweise zu meinen, was er sagte.
    Wir gingen hinter Lichner die Treppe zu seiner Wohnung hoch. Er lotste uns ins Wohnzimmer, wo wir uns auf die Couch setzten. Da der Raum direkt unter der Dachschräge lag, herrschten darin Temperaturen, die wohl jenseits der dreißig Grad lagen.
    »Also, Herr Hauptkommissar, was denken Sie jetzt über Nicole Klement?«
    Menkhoff schien zu überlegen, wie er mit Lichner sprechen sollte. Die Art, wie Lichner sich uns gegenüber an diesem Morgen benahm, veranlasste aber wohl auch ihn, ihm etwas gemäßigter zu begegnen. »Ich denke, dass das, was ich da gelesen habe, einiges von dem erklärt, was ich an Nicole nicht verstanden habe.«
    »Sonst nichts?«
    Menkhoff legte den Kopf ein wenig schief. »Wir waren gestern bei ihr. Sie benimmt sich sehr eigenartig. Hat das was damit zu tun, dass sie wieder mit Ihnen zusammen ist?«
    Lichner betrachtete seine Hände. »Ja, ich denke schon, aber mit ziemlicher Sicherheit anders, als Sie es denken.«
    »Das heißt?«
    »Das heißt, ihr Zustand hat sich schon wieder ein wenig gefestigt. Es war viel schlimmer.«
    »Wovon lebt sie eigentlich? Arbeitet sie?«
    »Soll das ein Witz sein? Das wäre im Moment unmöglich. Sie bekommt staatliche Hilfe, und hier und da unterstütze ich sie. Meine Praxis ist früher gut gelaufen, bevor
Sie
meinen Weg gekreuzt haben, und ich habe einiges auf der hohen Kante.«
    Ganz ohne kleine Sticheleien schien es bei Lichner also doch nicht zu gehen, und verrückterweise beruhigte mich das ein wenig.
    »Was sind das für seltsame Fotos, die sie auf ihrem Schrank stehen hat?«, fragte Menkhoff.
    Lichner hob die Brauen. »Fotos? Welche Fotos meinen Sie?«
    »Die von den Mädchen. Unter anderem von Juliane Körprich.« Ich sah, dass Lichner zusammenzuckte, und ich war sicher, dass auch Menkhoff es bemerkte.
    »Was soll das nun wieder? Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Und wieso von
den Mädchen
? Wie viele sind es?«
    Menkhoff atmete schnaufend aus. »Vier. Es sind vier, einschließlich Juliane.«
    Lichner wischte sich mit der Hand über den Mund. Er schien nervös zu sein. Etwas, was ich bis dahin noch nicht bei ihm erlebt hatte. »Nicole war sehr krank, und sie ist es auch noch immer. Sie würde niemandem absichtlich etwas Böses tun, aber ihre Vorstellungen von Gut und Böse haben durch die traumatischen Ereignisse in ihrer Kindheit wenig mit dem zu tun, was
Sie
als richtig und falsch ansehen.«
    »Was wollen Sie damit sagen, Lichner? Sie können sich Ihre idiotischen Andeutungen sparen, denn ich …«
    »Und Sie könnten endlich aufhören, herumzukläffen wie ein wildgewordener Kettenhund. Ich habe nicht vor, mich in idiotischen Andeutungen zu ergehen. Ich möchte Ihnen helfen, und ob es nun in Ihr schwarzweißes Weltbild passt oder nicht, es ist mir ernst damit.«
    »Und das soll ich glauben? Warum sollten ausgerechnet Sie uns helfen wollen, und vor allem: Wobei?«
    »Wenn Sie mir mal zuhören würden, könnten Sie es erfahren.«
    Der Psychiater verhielt sich
so
komplett anders als sonst, dass ich regelrecht darauf wartete, dass er gleich wieder sein unverschämtes Grinsen aufsetzen und sich darüber lustig machen würde, wie wir ihm auf den Leim gingen. Stattdessen sagte er ernst: »Ich habe Ihnen einiges zu sagen, und es kann sehr wichtig sein. Danach werden Sie sowieso tun, was Sie für richtig halten. Vielleicht werden Sie mich sogar wieder ins Gefängnis stecken.« Er machte eine Pause, in der Menkhoff und ich uns ansahen. »Hören Sie sich nur ausnahmsweise bis zum Ende an, was ich Ihnen sage, bevor Sie sich ein Urteil bilden, und versuchen Sie, dabei zumindest halbwegs objektiv zu sein. Können wir das vereinbaren?« Mir war, als unterhielten wir uns gerade mit einer Light-Version von Dr. Joachim Lichner. Seine aggressiven, rhetorischen Fähigkeiten waren zweifelsfrei nach wie vor da, aber er schien bemüht, sie im Zaum zu halten. Auch Menkhoff war von Lichners Verhalten offenbar überrascht. Er reagierte überhaupt nicht auf seine Worte. Ich spürte, dass das, was Lichner uns sagen wollte, ihm wichtig sein musste, und tat, was
er
schon zigmal mit uns gemacht hatte: Ich nutzte den Moment aus. »Wenn Sie uns was Wichtiges zu sagen haben, dann tun Sie das, aber wir lassen uns von Ihnen keine

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