Das Wesen. Psychothriller
finden, Bernd. Komm, lass uns gehen, wir haben viel zu tun.«
Erst reagierte er überhaupt nicht, dann nickte er, anfangs kaum wahrnehmbar, doch dann deutlicher, wobei er die Lippen fest zusammenpresste. »Du hast recht«, sagte er dann und stand mit einem Ruck auf. »Wir werden sie finden. Los, komm, ich muss nochmal mit Lichner reden.« Menkhoff öffnete die Rückseiten der Fotorahmen und nahm die Fotos von den Mädchen heraus, legte sie dann zu einem kleinen Stapel aufeinander und tat sie in den plattgedrückten Pappkarton zu den anderen. »Hat sie eigentlich ein Auto?«, wollte er wissen, während wir die Wohnung verließen. »Obwohl … in dem Zustand, in dem sie im Moment ist, kann sie wohl kaum fahren. Hat Lichner irgendwas darüber gesagt?«
»Nein, keine Ahnung, aber wir können ihn ja gleich fragen.«
Das konnten wir nicht, denn Lichner öffnete nicht, als wir kurze Zeit später zum dritten Mal an diesem Tag vor dem Haus standen, in dessen erstem Stock sich seine Wohnung befand. »Scheiße«, stieß Menkhoff aus. »Wieso verlässt der das Haus? Er konnte sich doch wohl denken, dass wir nochmal zurückkommen würden.«
»Na ja, vielleicht musste er noch Besorgungen machen. Er kann ja nicht den ganzen Tag im Haus sitzen bleiben, nur –«
»Nur weil meine kleine Tochter wahrscheinlich von seiner durchgedrehten Freundin entführt worden ist, meinst du?«
Von seiner durchgedrehten Freundin
… Wer hätte gedacht, dass Menkhoff einmal so über Nicole Klement reden würde.
»Dann glaubst du also, dass sie es war?«, fragte ich vorsichtig, während wir uns von der Haustür abwandten und zurück zum Auto gingen. Er wartete mit der Antwort, bis wir im Wagen saßen. »Nicole ist … im Moment die einzige Spur, die wir haben. Ich kann … Ich
will
es mir noch immer nicht vorstellen, aber ich hab ja selbst gesehen, wie sehr sie sich verändert hat. Aber ich traue Lichner kein Stück weit. Er war ein Dreckskerl, und er ist noch immer einer.«
»Aber wenn Nicole das jetzt wirklich getan hat, ist es dann nicht möglich, dass sie auch damals Juliane Körprich … Ich meine … Bist du noch immer sicher, dass Lichner das damals war?«
Menkhoff zögerte nur wenige Sekunden, dann sagte er mit fester Stimme: »Absolut sicher.«
53
24. Juli 2009, 13.41 h
Auf dem Flur im dritten Stock des Präsidiums trafen wir auf Wolfert, der entgegen meinen Befürchtungen nicht sofort drauflosredete, sondern uns nur mit besorgter Miene mitteilte, dass es noch nichts Neues gab. Menkhoff nickte und ging weiter. Als er schon zwei Schritte an Wolfert vorbei war, blieb er stehen, drehte sich noch einmal um und hielt ihm die Pappschachtel mit den Fotos hin, die er in der Hand hatte.
»Wir müssen wissen, wer die Mädchen auf diesen Fotos sind.« Wolferts Gesicht hellte sich ein wenig auf. Er nickte eifrig. »Klar, Herr Hauptkommissar. Ich mach mich sofort an die Arbeit. Ich gehe davon aus, es geht dabei um die …« Er verstummte, denn Menkhoff war in unserem Büro verschwunden.
Ich folgte ihm. Als ich den Raum betrat, saß er schon auf seinem Platz und hatte den Telefonhörer am Ohr. »Menkhoff hier«, sagte er knapp. »Können wir rüberkommen? … Danke.« Er stand auf. »Komm mit, zur Biermann.«
Unsere Chefin empfing uns mit sorgenvollem Gesicht. »Die Ringfahndung hat bisher leider noch nichts ergeben, aber zwei kleine Jungs haben angeblich gesehen, dass Luisa den Kindergarten mit einer Frau verlassen hat.« Menkhoffs Körper straffte sich. »Eine Frau? Können sie sie beschreiben?«
Sie wiegte den Kopf hin und her. »Die Kleinen sind vier und fünf Jahre alt, da ist das mit der Beschreibung noch so eine Sache. Zu Größe und Statur der Frau konnten sie nicht wirklich etwas Verwertbares sagen, aber schwarze Haare hatte sie, da sind die beiden sich sicher.«
Ich sah zu Menkhoff hinüber und konnte mir vorstellen, was in seinem Kopf vor sich ging.
»Wir haben in der Wohnung von Nicole Klement eine Schachtel mit weiteren Fotos der kleinen Mädchen gefunden. Außerdem …« Er stockte, räusperte sich. »Außerdem die Reste eines anderen Fotos. Offenbar hat Nicole Luisa fotografiert, als sie mit unserer Haushälterin unterwegs war. Der Teil, auf dem Frau Christ war, ist abgeschnitten.«
»Aber was möchte sie mit einem Foto von Ihrer Tochter?« Als Menkhoff nicht antwortete, sagte ich: »Wir müssen damit rechnen, dass sie Luisa
beschützen
möchte. Wie die anderen Mädchen.«
»Was heißt beschützen? Vor was
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