Das Wetter vor 15 Jahren
Talseite in ein Feld einschlägt. Bei der Gelegenheit erläutern Sie, dass es eigentlich nur so aussieht, für die Augen der „WetterNormalverbraucher", als würden die Blitze immer von den Wolken Richtung Erde zucken. Ich hab das nachgeschlagen, es stimmt würklich, was Sie behaupten.
Wolf Haas Dass die Luft sich in alle Richtungen entlädt?
Literaturbeilage Ich hatte das nicht geglaubt, dass die Blitze statt aus dem Himmel in die Erde genauso aus dem Boden himmelwärts zucken.
Wolf Haas Warum hätte ich es dann behaupten sollen?
Literaturbeilage Ich frage mich immer noch, ob es Ihnen bei dieser Betonung der Blitzrichtung um eine Mann-Frau-Symbolik geht.
Wolf Haas Nein, um Gottes Willen. Das ist wirklich so! Die Blitze zucken genauso von unten nach oben. Die haben ja kein Gewicht, also warum sollen sie sich nach unten bewegen. Die entladen sich in alle Richtungen!
Literaturbeilage Ich weiß. Aber es würde ja als Vorausdeutung durchaus auch Sinn machen. Wenn man bedenkt, was dann zwischen Anni und Vittorio -
Wolf Haas Mich hat daran nur fasziniert, dass einen die Augen so betrügen. Die beiden versuchen verzweifelt, das Gewitter durch Zählen zu kontrollieren. Also durch einen Vergleich ihrer optischen und akustischen Sinnesdaten sozusagen. Dabei betrügen ihre Augen sie von vornherein.
Literaturbeilage Sie schreiben, dieser Blitz, der sekundenlang über den Himmel zuckte, war immer noch zwei Kilometer entfernt.
Wolf Haas Ungefähr zwei Kilometer. Vittorio hat sechs Sekunden gezählt, Anni fünf. So genau ist das mit dem Zählen ja auch wieder nicht. Das war in dem Moment, als sie am Hochspannungsmast vorbeigerannt sind.
Literaturbeilage In Ihrem Buch heißt es, der Hochspannungsmast hätte aufgeleuchtet wie so eine LasVegas-Lichtinstallation. Waren Sie denn schon mal in Vegas?
Wolf Haas Ich nicht. Aber Herr Kowalski war einmal mit Riemer dort.
Literaturbeilage Da gibt's nämlich würklich einen Eiffelturm. An den musste ich denken, als ich die Stelle las.
Wolf Haas In Wirklichkeit hat der Mast natürlich nicht selbst aufgeleuchtet, sondern das Metall hat nur die über den Himmel zuckenden Blitze reflektiert.
Literaturbeilage Man hat beim Lesen die ganze Zeit die Erwartung, dass die Gefahr von dieser Stromautobahn ausgeht. Wegen der Aufschrift Lebensgefahr! und so weiter. Ich dachte, der Blitz schlägt womöglich in diesen Mast ein oder ürgend so was. Ein Hochspannungskabel kommt runter!
Wolf Haas Diese Angst beschleicht mich auch immer, wenn ich in die Nähe einer Stromautobahn komme. Dass ein herunterfallendes Stromkabel versehentlich den Boden unter meinen Füßen unter Strom setzt. Ist natürlich kompletter Blödsinn. Das Schild mit der Aufschrift Lebensgefahr! wirkte so bedrohlich, weil es an einer Ecke schlecht befestigt war. Dadurch hat die Blechtafel im Wind so laut gegen das Metall geschlagen. Aber passiert ist natürlich nichts. Die Lebensgefahr besteht ja nur, wenn man auf den Mast klettert.
Literaturbeilage Das haben die beiden nicht gemacht. Sie sind heil auf der anderen Seite der Stromautobahn herausgekommen.
Wolf Haas Das sind ja nur ein paar Meter. Zwanzig Meter vielleicht. Sie sind unter der Stromautobahn durchgerannt und dann weiter den Hügel hinauf. Auf der anderen Seite der Stromautobahn hat die Welt genau gleich ausgesehen. Das hat Vittorio ja schon als kleinen Jungen so fasziniert. Wenn sie bei der Anreise über die Grenze nach Österreich gefahren sind. Dass die Welt auf der anderen Seite exakt gleich aussieht.
Literaturbeilage Das hat mich als Kind auch immer fasziniert, wenn ich mit meinen Eltern zu meiner Großmutter nach Holland gefahren bin.
Wolf Haas Grenzüberschreitungen sind immer eine wahnsinnige Enttäuschung.
Literaturbeilage Inzwischen hatten die beiden wohl andere Sorgen. Anni wollte das rettende Schmugglerlager ihres Vaters erreichen.
Wolf Haas Das war für mich am schwersten zu beurteilen, was Anni in diesem Moment wirklich vorhatte. Ob sie von vornherein zum Schmugglerlager wollte. Also seit es finster geworden ist. Ich hab auch versucht, das offen zu lassen. Vielleicht ist das auch eine Schwäche des Romans. Meine persönliche Meinung dazu ist, dass es eine wilde Mischung von Motiven und Gefühlen war.
Literaturbeilage Eine Mischung aus Angst und Lust?
Wolf Haas Sie hatte natürlich selbst Angst vor dem Gewitter, das ist ja klar. Sie hat genau gewusst, dass sie ganz schnell Schutz finden müssen. Aber sie genoss es auch, Vittorio Angst einzujagen,
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