Das Wetter vor 15 Jahren
Schön. Aus welchem Lied stammt das?
Wolf Haas Leider konnte ich die Zeile nicht zitieren, weil sie schon bei Stephen King vorkommt. Vielleicht ist es mir ja auch nur deshalb in den Sinn gekommen. Weil ein bisschen Stephen-King-artig fühlt sich das wirklich an, wenn man auf so einem Berg steht, und mitten am Tag wird es finster. Dazu muss ich sagen, dass schon die Stromautobahn allein einen ziemlichen Horror ausstrahlt.
Literaturbeilage Entrisch.
Wolf Haas Unter so einer surrenden Stromautobahn durchgehen, das ist sogar an einem heiteren Tag etwas, das man möglichst schnell hinter sich bringt. Und wenn's dann noch mitten am helllichten Tag von einem Moment auf den anderen finster wird.
Literaturbeilage Herr Haas, ich geh mal davon aus, dass Sie die bekannte Dissertation von FC Delius kennen.
Wolf Haas Der Held und sein Wetter. Davon gehen Sie aus, dass ich die kenne? So verbreitet ist die auch wieder nicht.
Literaturbeilage Offenbar liege ich nicht ganz falsch. Und wenn sich jemand jahrelang mit dem Thema beschäftigt, würde es mich auch wundern, dass man an Der Held und sein Wetter vorbeikommt.
Wolf Haas Ich war sogar einmal versucht, meinem Roman ein Motto aus Der Held und sein Wetter voranzustellen. Aber solche Motti sind eigentlich unsympathische Signale.
Literaturbeilage Ihr Buch hat doch ein Motto.
Wolf Haas Aber ein Hochzeitslied ist was anderes als so philosophische Sachen, die man nur halb gelesen oder verstanden hat.
Literaturbeilage Das Hochzeitslied als Motto ist ja auch eine ganz fiese Vorausdeutung auf Annis Hochzeit. Man hofft natürlich die ganze Zeit, es bezieht sich auf eine andere Hochzeit!
Wolf Haas Es ist auch ein sehr schönes Lied, finde ich. Und da dieses beliebte Hochzeitslied mit einer Zeile über das Wetter beginnt, konnte ich es mir einfach nicht entgehen lassen. Also ich wollte es nicht nur im Text haben, sondern gleich auf der ersten Buchseite.
Literaturbeilage „Mag's regnen oder winden -"
Wolf Haas „- oder obaschneibn", ist das eigentlich verständlich?
Literaturbeilage Na klar, runterschneien.
Wolf Haas „Mag's regnen oder winden oder obaschneibn -"
Literaturbeilage „- fein sein, beieinander bleiben."
Wolf Haas Wahnsinn! Da krieg ich eine Gänsehaut. Ein bisschen kitschig ist es natürlich schon, aber -
Literaturbeilage - als Zitat war es Ihnen möglich.
Wolf Haas Ja, vielleicht.
Literaturbeilage Warum ich Sie nach Der Held und sein Wetter fragte. Auch Ihre Dissertation wird in den Rezensionen immer wieder erwähnt. Über die Sprachphilosophischen Grundlagen der Konkreten Poesie. Wolf Haas Aber in meinem Fall war das mehr zur Rechtfertigung der Grammatikfehler. Die akademische Lizenz zum Fehlermachen.
Literaturbeilage Herr Haas, auch wenn Sie sich darüber lustig machen. Mir ist unbegreiflich, wie Sie es mit diesem Hintergrund schaffen, zwanzig Seiten lang das Wetter zu beschreiben.
Wolf Haas Zwanzig Seiten sind's aber bestimmt nicht.
Literaturbeilage Doch, ich hab nachgezählt. Es fängt an mit der plötzlichen Verdunklung des Himmels. Sie beschreiben, wie die Sonne, während die beiden auf die Stromautobahn zugehen, verschwindet.
Wolf Haas Verdunstet.
Literaturbeilage Ja, das fand ich ja auch sehr schön, dass Sie schreiben, die Sonne verdunstet. Dann schildern Sie, wie die Stromautobahn immer lauter surrt, während es mitten am Tag immer finsterer wird. Sie beschreiben, wie man die Stromkabel mit jedem Schritt besser hören, aber schlechter sehen kann. Das geht über Seiten! Sie schreiben, wie die Erde immer noch die Hitze der komplett verdunsteten Sonne zurückstrahlt. Sie beschreiben, wie es immer noch schwüler und drückender wird. Sie schreiben, dass die Wolkendecke wie ein Glassturz über den beiden steht. Und dann beschreiben Sie gleich über sieben Seiten hinweg das Zählen.
Wolf Haas Sie haben also auch gezählt.
Literaturbeilage Ja. Die Seiten.
Wolf Haas Also ich würde das genaue Gegenteil behaupten. Nämlich, dass ich das Gewitter selbst überhaupt nicht beschrieben habe. Weil's nämlich gar nicht geht. Die Bedrohung, die da im wahrsten Sinn des Wortes in der Luft liegt, die Todesangst, die einen als Wanderer erfasst, das wird alles nicht einmal gestreift. Es wäre immer verharmlosend. Darum hab ich ja der Stromautobahn so viel Platz eingeräumt, dem künstlichen Gewitter sozusagen, dem Ersatzkaffee. Und das Zählen ist eben auch so eine starre, eingefrorene Art, den Wahnsinn so eines Alpenwetters überhaupt irgendwie
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