Das Wetter vor 15 Jahren
indem sie ihn immer weiter getrieben hat. Sie ist vielleicht aus dieser gespielten Überlegenheit nicht mehr herausgekommen. Sie musste die Pose der Überlegenheit jetzt durchziehen.
Literaturbeilage Jetzt hätten sie noch kehrtmachen und ins Dorf hinunterrennen können.
Wolf Haas Das wäre allerdings ihr sicherer Tod gewesen. Gottseidank sind sie nicht hinuntergerannt. Auf der anderen Seite der Stromautobahn haben sie kurz verschnauft und ins Tal hinuntergeschaut.
Literaturbeilage Da hat es immer noch nicht geregnet.
Wolf Haas Immer noch kein Tropfen. Das war für mich natürlich schon eine Verlockung, im Roman zu behaupten, auf der anderen Seite der Stromautobahn hätte es plötzlich geregnet, als wäre das eine ominöse Wetterscheide oder so.
Literaturbeilage Nein, das wäre zu konstruiert gewesen.
Wolf Haas Ja furchtbar. Und außerdem war's nicht so. Sie haben immer noch keinen Tropfen gespürt. Normalerweise gibt es ja immer diese Minuten vor einem Gewitter, wo es ein paar Sekunden lang tröpfelt, dann hört es wieder auf, dann tröpfelt es wieder. Also so ein paar unentschlossene Minuten, das ist vor einem Gewitter eigentlich normal. Aber dafür war das Gewitter immer noch zu weit weg. Es war immer noch fünf Sekunden weg, also fast zwei Kilometer.
Literaturbeilage Die Sekunde, bevor es dann runterkommt, beschreiben Sie ja fast als mystischen Moment.
Wolf Haas Na ja, es ist nicht alles, wo ein Licht am Himmel aufflammt, gleich ein mystischer Moment.
Literaturbeilage Sie beschreiben den Blitz aber nicht als den üblichen Blitzschlag, wie man ihn kennt, das kurze Aufzucken des Blitzlichtes eben. Sondern für mehrere Sekunden wird die ganze Hügelkette unter ihnen unnatürlich hell erleuchtet, und ein- und derselbe Blitz scheint über mehrere Hügel zu wandern, ohne seine Leuchtkraft zu verlieren.
Wolf Haas Mystisch würde ich nicht unbedingt sagen. Aber angesichts der Sachen, die eben dann noch passiert sind -
Literaturbeilage Das Mystische kommt ja nicht nur von dem lang anhaltenden Blitzlicht. Sondern es liegt vor allem am ausbleibenden Donner.
Wolf Haas Ja. Die beiden beginnen wieder zu zählen. Noch bevor der Blitz überhaupt verloschen ist, zählen sie schon. Aber sie zählen ins Leere sozusagen.
Literaturbeilage Sie ziehen die Formulierung sogar iterativ über mehrere Sätze. Ich hatte den Eindruck, dass Sie mit dieser Satzkette diesen nie verlöschenden Blitz sozusagen syntaktisch abbilden oder nachbauen wollten.
Wolf Haas Wirklich? Welche Satzkette meinen Sie?
Literaturbeilage Na diese betont ungrammatische Stelle hier. Sie schreiben, dass „der Blitz den ganzen immer noch nicht regnenden Nachthimmel taghell erleuchtete, aber der Donner. Soweit man schauen konnte, erstrahlte die Landschaft in diesem unnatürlich grellen Licht, aber der Donner."
Wolf Haas Ja okay.
Literaturbeilage „Wir gingen, wir liefen, wir schnauften, wir stolperten, wir eilten, wir hasteten, wir zitterten, wir rannten auf der anderen Seite der Stromautobahn noch steiler bergauf, aber der Donner."
Wolf Haas Ich weiß schon, welche Stelle Sie meinen.
Literaturbeilage „Wir drehten unsere Köpfe nach dem nicht verlöschenden Blitz, der den ganzen Hügel und das ganze Tal und das ganze Gebirge und den ganzen Himmel in sein gewaltiges Hochspannungslicht tauchte, aber der Donner."
Wolf Haas Aber der Donner kam nicht.
Literaturbeilage „Aber der Donner kam nicht." Und da machen Sie sogar noch einen Absatz, bevor Sie den Satz so beenden.
Wolf Haas Dass Sie das als Abbild des nicht verlöschenden Blitzes lesen, gefällt mir. Ich glaub aber eher nicht, dass ich daran gedacht habe. Ich kämpfe beim Schreiben immer mit anderen Dingen, also es sind vor allem sozusagen Gewichtsprobleme, weil mir das Flugzeug immer zu schwer wird, weil ich zu viel Informationsgepäck dabeihabe, Übergepäck. Und da schau ich, was kann ich noch als Handgepäck reinschwindeln, oder wem kann ich was anhängen, ohne dass er mich für einen Terroristen hält, und so weiter.
Literaturbeilage Jetzt lasse ich mich mal nicht ablenken von Ihnen. Ich habe den Eindruck, dass Ihnen diese Lesart „mystischer Moment" unangenehm ist.
Wolf Haas Nein gar nicht. Vielleicht haben Sie auch Recht. Es ist ja auch wirklich gewaltig, wenn so eine ganze Landschaft sekundenlang in so einer irrsinnig hellen Lichtblase steht. Da kann man schon Gefühle kriegen sozusagen. Ich find's nur vielleicht etwas zu hochtrabend. Letzten Endes ist es nur ein
Weitere Kostenlose Bücher