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Das Wetter vor 15 Jahren

Das Wetter vor 15 Jahren

Titel: Das Wetter vor 15 Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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langen Ahnenreihe aus lauter Wettersteigern angegeben hat, war das noch irgendwie eine Kompensation für seine bergsteigerische Unterlegenheit. Aber dann hat eben der Bonati mit seiner langen Ahnenreihe von Schmugglern angegeben. Und wenn er dann mit seinen Blutorden-Onkeln dahergekommen ist, die in den dreißiger Jahren Waffen über das Gebirge aus Deutschland herübergeschleppt haben, war natürlich jedes Mal der schönste Nazistreit im Gang.
    Literaturbeilage Das ist eigentlich die einzige Situation, wo Kowalski senior mal ein bisschen aus seiner schwachen Rolle rauskommt. Wie er sich da niemals anbiedert, sondern dem Schmuggler tapfer sagt, was er von diesen Vorfahren hält.
    Wolf Haas Er wollte dem Bonati seine launige Erzählung von den Blutordenträgern nicht als romantisches Waffenschmuggler-Gschichterl durchgehen lassen.
    Literaturbeilage Fand ich schon gut, dass der überhebliche Einheimische mit seinem „Gschichterl" nicht landen konnte bei seinem widerspenstigen Gast. Seiner Frau war's auch peinlich.
    Wolf Haas Und den Kindern erst! Die beiden Männer sind bei dem Thema ja immer ziemlich laut geworden, also wer sind jetzt die größeren Nazis, die Deutschen oder die Österreicher und so weiter.
    Literaturbeilage Etwas prollig.
    Wolf Haas Wenn sich Väter mit roten Schädeln lautstark die Meinung sagen, das ist für Kinder unerträglich. Andererseits hat sie das erst recht zusammengeschweißt, dass sie sich für ihre Eltern geschämt haben.
    Literaturbeilage Scham ist ein gutes Stichwort. Wir müssen jetzt endlich über Vittorio Kowalskis Ankunft in Farmach sprechen. Sonst kommen wir überhaupt nicht mehr zur Hochzeit! Seine Ankunft war ja auch einigermaßen beschämend.
    Wolf Haas Das wäre mir gar nicht so unrecht, wenn wir nicht mehr bis zur Hochzeit kommen. Da hab ich ja ehrlich gesagt am ehesten Erklärungsnotstand wegen dem ganzen Hollywoodkitsch. Aber diese Sachen färben natürlich auf die Realität ab, das ist ein altes Problem beim Schreiben. Was tut man als Autor mit einer selbstinszenierten Realität - mit Polizisten, die sich wie Fernsehpolizisten benehmen, und mit Bräuten, die wie im Kino heiraten möchten. Ohne dass es dann auf dich als Autor zurückfällt.
    Literaturbeilage Wollen Sie sich jetzt aus der Verantwortung stehlen?
    Wolf Haas Ich versuch doch nur, Ihren Zeitstress zu reduzieren.
    Literaturbeilage Zur Hochzeit kommen wir schon noch, keine Sorge. Aber schön der Reihe nach. Ich darf Sie nur nicht zu sehr abschweifen lassen bei den einzelnen Fragen, dann schaffen wir das schon. Ich hab schon meine Gründe, dass ich gerade die Tage zwischen Vittorios Ankunft im Urlaubsparadies seiner Kindheit und Annis Hochzeit -
    Wolf Haas Urlaubsparadies in dem Sinn ist das aber keines, das ist nur so ein Kaff, wo man ein bisschen wandern gehen kann. Seine Eltern sind ursprünglich nur hingefahren, weil es billig war. Wegen dem Vertrag, den die Ruhrkohle-AG mit dem Tourismusverband in Farmach hatte. Obwohl sein Vater eigentlich als Erster seiner Familie gar nicht bei der Ruhrkohle-AG gearbeitet hat. Darum war er auch der Bergbaugeschichte so sentimental verbunden und hat seinen Sohn von klein auf mit den Heldengeschichten indoktriniert.
    Literaturbeilage Und der wurde dann ausgerechnet zum Zechenabbauer.
    Wolf Haas Zum Glück hat sein Vater das nicht mehr erleben müssen. Und der Mutter war's wurscht.
    Literaturbeilage Mir ist aufgefallen, dass Sie, kaum dass Vittorio Kowalski im Hotel angekommen ist, sofort einen neuen Countdown beginnen. Diese Methode des
    Runterzählens zieht sich ja als roter Faden durch das ganze Buch. Zuerst auf der Autobahn: Noch so und so viele Kilometer bis zur Grenze, dann das Gewitter, noch dreitausend Meter, noch zweitausendachthundert Meter, noch zweitausendfünfhundert Meter. Und jetzt eben: noch fünf, noch vier Tage bis zu Annis Hochzeit.
    Wolf Haas Ich zähle eben gern. Zählen ist so eine Art Meditation für mich. Zählen beruhigt einfach. Schreiben macht mich irgendwie nervös, es geht immer gleich alles in so viele verschiedene Richtungen, das liegt mir eigentlich psychisch nicht sehr. Mir ist schnell etwas zu komplex, genauso wie mich ein verheddertes Schuhband narrisch macht. Zählen dagegen, das ist, wie wenn einem der Arzt ein Mittel gibt. Oder Yoga oder so. Oder irgendwie Physiotherapie, wo der sagt, stellen Sie sich doch einmal gerade hin, und da kann man als Autor zum Text auch sagen, stell dich doch einmal gerade hin, noch sieben Sekunden, noch sechs

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