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Das Wetter vor 15 Jahren

Das Wetter vor 15 Jahren

Titel: Das Wetter vor 15 Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Sekunden, noch fünf Sekunden.
    Literaturbeilage So beruhigend ist das Zählen in Ihrem Buch allerdings keineswegs! Das weist doch alles auf die Explosion voraus!
    Wolf Haas Ja schon. Bei einer Sprengung ist das Hinzählen auf die Zündung eine Frage von Leben und Tod. Dass es so weit kommen wird, weiß man an der Stelle aber noch nicht.
    Literaturbeilage Zuerst kommt es mal zu den kleineren Katastrophen.
    Wolf Haas Die man ja immer als die großen Katastrophen erlebt.
    Literaturbeilage Kaum dass er seinen Wagen auf dem Hotelparkplatz abgestellt hat, erkennt er, dass er ausgerechnet in Lukkis Hotel ein Zimmer gebucht hat.
    Wolf Haas Er hatte extra in einem Hotel gebucht, dessen Namen ihm nichts sagte. Wellnesshotel Schwalben-wandblick. Früher hatte es ja in dem kleinen Ort noch gar keine richtigen Hotels gegeben, mehr so Frühstückspensionen.
    Literaturbeilage Wie die Frühstückspension Elisabeth von Annis Eltern.
    Wolf Haas Genau. Also dachte er automatisch, ein Vier-Sterne-Wellnesshotel, das muss neu sein, da kann er einmal gefahrlos buchen.
    Literaturbeilage In dem Moment, wo er das Hotel vor sich sieht, fällt ihm Lukki wieder ein.
    Wolf Haas Weil das Hotel an der Stelle steht, wo früher das Gasthaus von Lukkis Eltern war.
    Literaturbeilage Das Gasthaus Luckschmid.
    Wolf Haas Luckschmid. Ja, ist schon ein irrer Name, aber ich kann nichts dafür.
    Literaturbeilage Mit dem Namen hatte ich beim Lesen kein Problem. Ein großes Problem hatte ich allerdings mit dem Satz, der ihm durch den Kopf geht, als er aus dem Auto steigt.
    Wolf Haas „Ah, die gute Luft!" Dass er im Kopf die Stimme seiner Mutter hört, die sich nach der langen Anfahrt niemals aus dem Auto winden konnte, ohne diesen lustvollen Seufzer auszustoßen - das hat Sie gestört?
    Literaturbeilage Das meine ich nicht. Das fand ich sogar sehr schön. Wie er da seine vor Jahren verstorbene Mutter aufseufzen hört: „Ah, die gute Luft!" Aber schon vorher, noch bevor er ausgestiegen ist. Als er auf den Parkplatz einbiegt, trifft ihn beim Anblick des Hotels die furchtbare Erkenntnis, die er im Buch so wiedergibt: „Lukki, die brutale Sau, hatte ich ganz vergessen."
    Wolf Haas Das ist Ihnen zu brutal?
    Literaturbeilage Nein. Zu unglaubhaft. Ich kann nicht glauben, dass er seinen Rivalen Lukki im Lauf der Jahre völlig vergessen hat. Dass ihm sein Feind, muss man fast sagen, erst jetzt wieder einfällt. Erst als er realisiert, dass er ausgerechnet in Lukkis Hotel ein Zimmer gebucht hat.
    Wolf Haas Ich hatte natürlich auch ein Problem damit. Aber nicht wegen der Glaubwürdigkeit. Ich finde das durchaus glaubwürdig! Wie gesagt, in den letzten Jahren hatte er nur noch das Wetter im Kopf. Wenn er sich kaum noch an Anni erinnerte, warum sollte er nicht den Idioten aus dem Nachbarhaus komplett verdrängt haben?
    Literaturbeilage Womit haben Sie dann ein Problem?
    Wolf Haas Man kann eigentlich in einem Roman eine Hauptfigur nicht erst nach der Hälfte auftauchen lassen. Ich hab auch probiert, ihn einfach schon vorher einzubauen. Ich hätte Lukki ja wirklich problemlos schon bei der Anfahrt erwähnen können, wo sich auf der Autobahn all die Erinnerungen an die längst vergangenen Sommerferien zurückmelden.
    Literaturbeilage Lukki war doch als Nachbarjunge Teil dieser sommerlichen Erinnerungen. Schwimmbad, Rad fahren, Federball -
    Wolf Haas - verdroschen werden, minutenlang unter Wasser getaucht werden.
    Literaturbeilage So was vergisst man doch nicht.
    Wolf Haas Ja, wie gesagt, da hätte ich Lukki ganz leicht hineinschwindeln können in Kowalskis schweifende Gedanken während der Anfahrt. Auch wenn ihm, wie gesagt, Lukki in Wahrheit keine Sekunde in den Sinn gekommen ist. Sonst hätte er ja nicht vor dem Hotel plötzlich denken können: Die brutale Sau hatte ich ganz vergessen.
    Literaturbeilage Und das war Ihnen so wichtig, hier einem dokumentarischen Wahrheitsanspruch zu genügen?
    Wolf Haas Nein, im Gegenteil! Ich bin doch nicht der Sklave der Wahrheit! Aber je länger ich herumgepfuscht habe, umso klarer ist mir geworden, dass gerade seine reale Erinnerungslücke hier auch dramaturgisch die interessanteste Schräglage erzeugt. Gegen alle Regeln der Kunst sozusagen.
    Literaturbeilage Allerdings auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Man denkt sich als Leser, er kann Lukki doch nicht völlig vergessen haben.
    Wolf Haas Vergessen nicht! Aber nicht an ihn gedacht. Das ist was anderes! Und dieses Ungleichgewicht, wie der auf einmal auftaucht, wo er gar nicht mehr

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