Das Wetter vor 15 Jahren
Mädchen die schönsten Frauen werden. Ich bin einfach verliebt in diesen blöden Satz. Ich hab ihn von Frau Bachl gehört. „Aus den rotzigen Mädchen werden die schönsten Frauen", hat sie irgendwann einmal lächelnd und ganz beiläufig gesagt, als ich sie über Annis Kindheit ausfragte.
Literaturbeilage Ach, über Frau Bachl müssen wir unbedingt noch extra sprechen!
Wolf Haas Die hat das im vollen Ernst gesagt. Es klang aus ihrem Mund, als wäre es eine uralte, gesicherte Wahrheit, dass aus den rotzigen Mädchen die schönsten Frauen werden.
Literaturbeilage Sie lächeln.
Wolf Haas Ich kann das nicht sagen, ohne in Euphorie zu verfallen.
Literaturbeilage Herr Haas, diese Volksweisheit, dass aus den rotzigen Mädchen die schönsten Frauen werden, ist für den Leser natürlich nicht so zentral. Es ist ein nettes Sprichwort vielleicht, man schmunzelt. Aber es ist im Buch doch nur ein Satz unter vielen. Warum ist Ihnen diese Behauptung so wichtig?
Wolf Haas Das klingt jetzt alles so blöd, aber in Wirklichkeit sind das ganz biedere Überlegungen. Oder „bieder" ist auch falsch gesagt. Einfach technische Überlegungen. Ich bin ja auch ein Ingenieur.
Literaturbeilage Hoffentlich sagen Sie jetzt nicht „Textingenieur" oder ürgend so was Verklemmt-Sechzigerjahre-Mäßiges.
Wolf Haas Na ja, Textingenieur. Finden Sie das so schlimm? Dass aus den rotzigen Mädchen die schönsten Frauen werden, das ist jedenfalls die einzige Stelle, wo ich etwas über die Schönheit von Anni sage. Es gibt ja nichts Schwierigeres in einem Roman als eine schöne Frau. Das ist die Hölle! Es ist peinlich und banal.
Literaturbeilage Gut, dass Sie das sagen.
Wolf Haas Irgendwo in einem Roman kommt immer eine schöne Frau daher. Und dann hab ich immer Angst, wenn ich das vorlese, dann verdrehen alle schönen Frauen im Publikum ihre schönen Augen, weil sie es dermaßen blöd finden, wenn man da sagt, so und so Merkmale. Also das ist wirklich, das ist wie - kennen Sie Salzburger Nockerl?
Literaturbeilage Ich kenne Mozartkugeln. Aber Nocken?
Wolf Haas Salzburger Nockerl. Das ist so eine Luftspeise, so ein Soufflee, das besteht, glaub ich, fast nur aus Eiklar und Zucker, also aus - nennt man das in Deutschland auch „Schnee"?
Literaturbeilage Eierschnee, ja.
Wolf Haas Und das wird eben im Ofenrohr zu so einer Souffleeblase aufgebläht, und da muss man wahnsinnig aufpassen, dass die Nockerln nicht schon beim Servieren zusammenfallen. Und so ähnlich ist das, wenn man in einem Buch eine schöne Frau beschreibt, das ist wahnsinnig schwer zu servieren.
Literaturbeilage Da merkt man, dass Ihr Vater Kellner war.
Wolf Haas Nein, das ist Allgemeinwissen in einem Touristenland.
Literaturbeilage Aber Herr Haas, dass es sich um eine umwerfend attraktive Frau handeln muss, das ist doch von der ersten Zeile an klar. Das liegt schon in Kowalskis Blick auf sie. Der begehrliche Blick! Wolf Haas Obwohl ich es nie ausdrücklich sage! Außer an der einen Stelle, wo die alte Frau Bachl erwähnt, dass aus den rotzigen Mädchen die schönsten Frauen werden.
Literaturbeilage Also ich kann das jetzt nicht beschwören, aber ich habe doch den Eindruck, dass Sie öfter im Buch schreiben, wie hübsch Anni ist.
Wolf Haas Nein, bestimmt nicht. Das wüsste ich. Es dreht mir ja jedes Mal den Magen um, wenn ich irgendwo gezwungen bin, die Schönheit einer Frau in einem Buch zu beschreiben. Da mutiert man als Autor so zum verschwitzten Lustmolch vor seiner Tastatur. Aber in dem Fall war es mehr oder weniger unmöglich, das wegzulassen. Und bei Anni war es natürlich besonders schwierig, weil sie mir ja auch gut gefällt, also persönlich.
Literaturbeilage Das merkt man.
Wolf Haas Warum schauen Sie so?
Literaturbeilage Ich zögere, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich sagen soll, was mir auf der Zunge liegt.
Wolf Haas Nämlich?
Literaturbeilage Ich bin ürgendwie an Ihrer vorherigen Formulierung „Es dreht einem den Magen um" hängen geblieben. Es ist nämlich so: Als Leserin dreht's einem bei solchen Frauendarstellungen auch manchmal den Magen um.
Wolf Haas Genau deshalb ist mir das so wichtig, dass ich nirgendwo geschrieben habe, wie hübsch die Anni ist, sondern eben nur das mit dem Rotz.
Literaturbeilage Dass Sie es geschickt machen, bestreite ich keineswegs. Ich weiß nur nicht, ob das so viel an der Sichtweise ändert. Von Anni selbst erfährt man leider würklich nicht viel in Ihrem Buch. Es ist doch mehr Vit-torios prinzipielle Besessenheit,
Weitere Kostenlose Bücher